Die Hochschule Merseburg ist quasi im Mitteldeutschen „(Drogen-)Dreieck“ beheimatet. Diese Region aus Teilen Sachsens, Thüringens und Sachsen-Anhalts ist seit ca. 2009 zunehmend mit Problemlagen konfrontiert, die sich aus einer weiten Verbreitung des Konsums von Methamphetamin ergeben. Nicht nur das Drogenhilfesystem, sondern sehr große Teile des psycho-sozialen Hilfesystems insgesamt sind mit oft schon beeinträchtigten KonsumentInnen konfrontiert und werden durch bisher so nicht gekannte Verhaltensweisen stark gefordert. Im Frühjahr 2013 existierte ein enormer Bedarf an wissenschaftlicher Hilfe und Unterstützung, um KonsumentInnen von Crystal abseits von medialen Inszenierungen mit ihren Bedürfnissen, Problemlagen und Hilfe- und Unterstützungsbedarfen möglichst dezidiert beschreiben und passgenaue Hilfeangebote entwickeln zu können.
Der Fachbereich „Soziale Arbeit, Medien und Kultur“ verfügt über einen Ausbildungsschwerpunkt im Bereich „Drogen und Soziale Arbeit“. Daraus resultierten folgerichtig Erwartungen, möglichst schnell ein Forschungsprojekt umzusetzen, das Einblicke in die neuen Themen ermöglicht und Impulse für das Entwickeln passgerechter Hilfe und Unterstützung gibt.
Normalerweise liegen zwischen dem Erkennen eines Forschungsbedarfs, der eigentlichen Forschungsarbeit und der Veröffentlichung der Ergebnisse für die nachfragende Praxis viele Hürden. Personelle und finanzielle Kapazitäten sind knapp, ausbilanziert und lassen sich nicht einfach umschichten. Projektanträge bei forschungsfördernden Institutionen binden nicht nur Zeit und Kraft. Oft ist zudem ungewiss, ob sich ein Projektantrag gegen die Fülle der Nachfragenden durchsetzen kann und nach welchen Kriterien die Wahl getroffen wird.
In dieser schwierigen Gemengelage fiel schließlich die Entscheidung, eine Studie zu initiieren, die in der Hauptsache durch das Engagement der Beteiligten getragen wird. Ein solches Herangehen erhält oft den Makel, wissenschaftlich nicht solide zu arbeiten. Zu sehr gilt in unserer Kultur, dass nur etwas gilt, was auch kostet.
Um diesem Vorwurf zuvorzukommen, entschlossen sich KollegInnen des Fachbereichs, reguläre Ausbildungsangebote zu sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden so zu konzipieren, dass sie der geplanten Studie zuarbeiteten: In einem aufwendigen Verfahren wurden nicht nur die Untersuchungsmethoden nach allen Regeln der Kunst entwickelt und getestet, sondern auch die teilnehmenden StudentInnen als InterviewerInnen und TranskripteurInnen intensiv geschult und während ihrer Arbeit angeleitet.
Auch für den Zugang zu den potentiellen InterviewpartnerInnen wurden studentische Ausbildungsbezüge im Rahmen von Theorie-Praxis-Seminaren genutzt. In diesen erhalten Studierende durch KollegInnen aus den Hilfeeinrichtungen über zwei Semester einen kontinuierlichen Zugang zu verschiedenen Praxisbezügen. Dies erleichterte die Rekrutierung und Durchführung der geplanten Interviews. 46 StudentInnen, die ihr Theorie-Praxis-Semester in einer suchtmedizinischen Praxis, in einer Drogenberatungsstelle, in einem Projekt der Drogenerziehung und in einem niedrigschwelligen Kontaktbereich absolvierten, beteiligten sich mit großem Engagement und viel Einfallsreichtum, um die nicht immer sofort willigen InterviewpartnerInnen für die Datenerhebung zu gewinnen. Diesen StudentInnen gilt besonderer Dank für die Zeit und die Mühen, die sie in dieses Vorhaben eingebracht haben. Für diejenigen LeserInnen, die es nicht wissen: Ein Interview mit einer Dauer von etwa 40 Minuten zu transkribieren, fordert von einer ungeübten und nicht mit professioneller Technik ausgestatteten Person vier bis fünf Stunden!
Nachdem im Frühsommer alle Daten erhoben waren, folgte die aufwendige Aufbereitung der Daten. Mehr als 1400 Minuten Interview und 46 Einschätzungen der InterviewerInnen waren zu sichten und aufzubereiten. Auch daran beteiligten sich drei interessierte Studentinnen und dies ohne Aussicht auf die, an den Hochschulen und Universitäten nunmehr zirkulierende Währungseinheit „Credits“.
Mit Hilfe des ehrenamtlichen Engagements und natürlich durch die Bereitschaft der Befragten, den InterviewerInnen Rede und Antwort zu stehen, ist es gelungen, in kurzer Zeit ein Forschungsprojekt zu bearbeiten und der Praxis anregende Ergebnisse vorzulegen.