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Weltweit müssen mehr als 70 % der energiebedingten Treibhausgasemissionen bis 2050 eingespart werden, um den Herausforderungen der Klimakrise zu begegnen und die globale Erwärmung weit unter 2 °C zu halten. Das entspricht einer Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am Strommix von 25 % im Jahr 2017 auf 86 % im Jahr 2050.
Abstract
Will man den kosten- und zeitintensiven Ausbau der Strominfrastruktur geringhalten, ist für die Umsetzung der Energiewenden im Stromsektor eine Digitalisierung des Stromsystems erforderlich, denn der Umstieg von fossilen, zentralisierten Kraftwerken auf eine dezentralisierte, kleinteiligere Energieproduktion, -übertragung und -konsumption bedarf einer digitalen Prozesssteuerung: um Spannung, Lastregelung und Netzstabilität in einem dezentralen Stromsystem aufrecht und stabil zu halten, wird eine digitale Echtzeitkoordination der zunehmend kleinteiligeren Stromproduktion und seines Transports notwendig. Digitale Programme und Geräte werden die wachsende Anzahl und Bandbreite an Kraftwerken und die damit einhergehende raumzeitliche Komplexität steuern und dabei den Rhythmus von Energie und Gesellschaft neu justieren, um den steigenden Energiebedarf abzudecken, die Energieeffizienz zu erhöhen und den Ausbau erneuerbarer Energien zu fördern.
Gleichzeitig bergen Energiewenden, die auf Digitalisierung setzen, das Risiko eines signifikanten Anstiegs des Energiebedarfs, des Entstehens neuer systemischer und individueller Abhängigkeiten und einer weiteren Konzentration von Kontrolle. Es besteht in der Kombination von Dekarbonisierung und Digitalisierung die Gefahr, dass die positiven Effekte der Energieeffizienz vor allem einer kleinen Gruppe privilegierter Akteure zu Gute kommen, welche Geschwindigkeit und Ausmaß der Energiewende bestimmen, statt dem Gemeinschaftsinteresse zu dienen. Vor diesem Hintergrund stellen sich folgende Fragen hinsichtlich der Zwillingstransformation von Energie und Digitalisierung:
Wer digitalisiert die Energieinfrastruktur und was treibt Entscheidungsfindungen an? Wie beeinflussen digitale Technologie, neue Akteure und bestehende Stromnetzinfrastrukturen und Pfadabhängigkeiten Gerechtigkeitseffekte infrastruktureller Veränderungen? Wie wirkt sich die Digitalisierung auf die Wahrnehmung und gelebte Erfahrung menschlicher Interaktionen mit Strom aus und wie verändert sie den Wert, den wir ihm beimessen?
In anderen Worten: Was gewinnen und was verlieren wir mit einer Abkehr von fossiler Energie und deren Infrastruktur und der Wende hin zu einem hybriden, digitalisierten Energiesystem? Welche Chancen und Risiken birgt die Energiewende, wenn wir sie als Transformation von Kohlegewinnung zur Datengewinnung verstehen?
Das Forschungsprojekt EnergieDigital untersucht soziotechnische Konstellationen und potentielle Machtverschiebungen im Rahmen der Energie- und Digitalisierungswende. Es verbindet und erweitert Forschungen im Bereich Digitalisierung und Energiewissenschaften, indem es gesellschaftliche Konfliktfelder der Nachhaltigkeitstransformation und der digitalen Automatisierung als technologische Innovation mit daraus hervorgehenden Monopolisierungen und Polarisierungen zusammenbringt. Es fokussiert auf die Digitalisierung der Stromproduktion und -übertragungsnetze und entwickelt damit die bisherige digitale Energieforschung weiter, die vor allem den Einsatz von Smart Meters und damit die digitale Stromverbrauchssteuerung untersucht. Deren flächendeckenden Installation stehen Bedenken zu gruppendynamischen und datenschutztechnischen Auswirkungen entgegen; zudem ist nicht davon auszugehen, dass Maßnahmen auf der Verbraucherseite die alleinige Lösung sein können, um bei weiterer Zunahme dezentraler Stromerzeugungsanlagen die Netzstabilität zu gewährleisten, Lastspitzen auszugleichen, Spannung und Frequenz zu halten und Erzeugung und Verbrauch aufeinander abzustimmen. Das medial oft bemühte, aber von einer Umsetzung noch weit entfernte ‚Smart Grid‘ ist auf Stromerzeuger- und Übertragungsseite eine mögliche Antwort auf diese Herausforderungen. EnergieDigital untersucht diese Umstellung unserer Stromsysteme auf digitale Steuerung und schafft ein tiefergehendes Verständnis der aktuell noch zu wenig beachteten Zwillingstransformation in ihrer soziotechnischen, machtpolitischen und energiekulturellen Dimension.
EnergieDigital besteht dabei aus zwei Teilforschungsprojekten: Digitale Energiewende durch Virtual Power Plants und Stromplattformen und der Wert von Hyperobjekten.
Digitale Energiewende durch Virtual Power Plants
Diese Erkenntnisse der Internet Studies und digitaler Sozialforschung Ethnologie sind bisher jenseits der Kontrolle über generierte Daten bei Smart Meter Installationen kaum mit denen der Energy Humanities in Verbindung gebracht worden. In der Untersuchung von Smart Meter Pilotprojekten hat sich gezeigt, dass Technologien bisher nicht besonders gut auf die kulturell unterschiedlichen Bedürfnisse von Verbrauchern und Energiecommunities ausgerichtet sind. In der Forschung herrscht zudem, bis auf wenige Ausnahmen, eine technologisch-ökonomische Perspektive vor, die die Vorteile von smarten Stromtechnologien für den Einzelnen hervorhebt, aber dabei soziale Aspekte und Werte übersieht.
Virtual Power Plants (auch: Virtuelle Kraftwerke oder VPPs) sind eine Form eines Intelligenten Stromnetzes (Smart Grids), bei dem mit Hilfe einer Software verschiedene dezentrale Stromerzeugungs- und Speichereinheiten (DER) zusammengefasst und gesteuert werden. Das virtuelle Kraftwerk operiert als eine Einheit ähnlich einem konventionellen Kraftwerk zur Unterstützung der Netzstabilität und kann darüber hinaus auch am Strommarkt teilnehmen. VPPs beginnen sich in verschiedenen Konstellationen der Kontrollarchitektur, des Portfolios an dezentralen Erzeugungseinheiten und mit unterschiedlichen Rollen im Energiesystem in Europa zu etablieren und werden je nach Konstitution der nationalen Stromsysteme in Zukunft eine wichtige Rolle spielen: In Europa hat die Europäische Kommission mit dem Green New Deal und dem Clean Energy Package beschlossen, die Stromproduktion der Mitgliedstaaten bis 2050 mit Hilfe digitaler Systeme auf erneuerbare Energien und eine optimierte Energieeffizienz umgestellt zu haben. Die Weichen hierfür werden jetzt durch Pilotprojekte und die Rahmenbedingungen für VPPs gestellt.
Vor diesem Hintergrund untersucht das Forschungsprojekt, ob und wie VPPs bestehende Stromerzeugungs- und Steuerungssysteme herausfordern und inwieweit die Dezentralisierung der Erzeugung und die ökonomische, gemeinschaftliche oder ökologische Motivation dahinter sich in der konkreten Ausgestaltung und Umsetzung – der Programmierung des Energy Management Systems mit seinen Zugriffsberechtigungen – wiederfindet. Wichtig ist hierbei, die Umstellung auf erneuerbare Energien, die digital gesteuert werden, nicht nur als eine klimapolitisch-technische Notwendigkeit, sondern im Sinne einer Doppelwende als einen weitreichenden Transformations- und Entscheidungsprozess zu verstehen, in dem neue Infrastrukturen den Rahmen für zukünftige energietechnische Steuerungen und daraus induzierte gesellschaftliche Kontrollmechanismen setzen.
Stromplattformen und der Wert von Hyperobjekten
In diesem Teilprojekt werden Virtual Power Plants und weitere Beispiele von Stromerzeugungs- und Verteilungsplattformen analysiert, um mit einem stärker medientheoretischen Blick Elemente der Plattformlogik im Stromsektor zu untersuchen. Stromplattformen im Internet benutzen eine Sprache von Zugang, Teilen und Möglichkeiten, die auch andere Onlinebereiche nutzen und positionieren sich damit als Teil einer Sharing Economy oder bedienen sich deren Vokabular. Während Onlineplattformen als neue B2B-Form und Medium direkter Kommunikation zwischen NutzerInnen weltweit erfolgreich sind, produzieren sie auch neue Unsicherheiten und Abhängigkeiten. Plattformen wie AirBnB, Uber, Facebook und MechanicalTurk sind hinreichend für ihr Potential zur Untergrabung von Errungenschaften des Arbeitnehmerschutzes und die Umgehung von Steuern und Abgaben bekannt, während gleichzeitig bei der Generierung von Informationen durch Algorithmen nicht mehr von einem Verständnis durch die NutzerInnen ausgegangen werden kann. Auf den Energiebereich übertragen, stellen sich damit vor allem die Fragen, wie es Stromplattformen gelingt, durch die Ideen von Personalisierung, Klimaschutz und Gemeinschaft Strom und seine Vernetzung für NutzerInnen sichtbar und begreifbarer zu machen und wie Stromplattformen den Wert verändern, den wir Strom beimessen.
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- Katja Müller