Was bedeutet respektvoller Umgang? Wie drückt sich gegenseitige Wertschätzung aus? Über diese Fragen wurde an der Hochschule Merseburg in den vergangenen Monaten viel diskutiert. Wir haben Studierende und Mitarbeitende dazu befragt und ebenso persönliche wie aufschlussreiche Antworten erhalten.
Beitrag von Anne Schwerin
Pia Bsdurrek
Pia Bsdurrek | Studentin im Master Informationsdesign und Medienmanagement
An unserer Hochschule gibt es unterschiedliche Meinungen dazu, was respektvolle Kommunikation bedeutet. Wenn Studis die Teilnehmenden in Umfragen duzen, statt zu siezen, ist das aber mit Sicherheit nicht respektlos gemeint. Die Studierenden denken einfach beim Erstellen der Umfrage vor allem an ihre Kommiliton*innen. Ich finde, sowas kann man im persönlichen Gespräch am besten klären und nicht über zentrale E-Mail-Verteiler. Schön wäre, wenn wir uns alle gemeinsam an einen Tisch setzen könnten, um uns über die Hintergründe unserer Perspektiven auszutauschen. Respekt bedeutet für mich, einander auf Augenhöhe zu begegnen. Ich wünsche mir auch von Personen, die in der Hierarchie über mir stehen, nicht herablassend behandelt zu werden. Aktuell schreibe ich meine Masterarbeit. Mein Betreuer fragt öfter nach, wie ich vorankomme, ob ich Unterstützung brauche und sogar, ob ich mir vorstellen könnte, zu promovieren. Das gibt mir ein Gefühl von Wertschätzung.
Kevin Panchasara
Als ich nach Deutschland gekommen bin, war mir bewusst, dass die Kultur und das Miteinander hier komplett anders funktionieren als in Indien. Mithilfe von YouTube-Videos habe ich versucht, mich ein wenig darauf vorzubereiten. Ein großer Unterschied im Hochschulalltag ist, dass wir hier offener mit den Professor*innen sprechen und sogar Kritik üben können. Daran musste ich mich erst gewöhnen. Ein bisschen schwierig fand ich zu Beginn meines Studiums, dass die deutschen Studis etwas reservierter sind als wir Inder*innen. Dadurch kann es schnell passieren, dass jede*r davon ausgeht, mit den eigenen Problemen allein zu sein. Dabei könnte man sich austauschen und gegenseitig helfen. Respekt bedeutet für mich vor allem, eine offene Perspektive einzunehmen. Im Englischen gibt es ein schönes Sprichwort dafür: „Try to be in someone others shoes!“ Aktuell sitze ich an meiner Masterarbeit und bin Tutor im Bereich Strömungslehre. Die Unterstützung meines Professors und die positiven Rückmeldungen der Studis machen mich glücklich und stolz
Kevin Panchasara | Student im Master Maschinenbau / Mechatronik / Physiktechnik
Katja Labow
Katja Labow | Referentin für Chancengerechtigkeit I CASE - Center für Advanced Scientific Education | Prorektorat für Forschung, Wissenstransfer und Existenzgründung | Koordinatorin Familiengerechte Hochschule | Rektorat
Gegenseitige Wertschätzung drückt sich über Sprache und vielfältige Verhaltensweisen aus. Ein respektvolles Miteinander bedeutet für mich z. B., dass alle gleichermaßen die Chance haben, mit ihren Ideen und Argumenten gehört zu werden. Dass drückt sich etwa darin aus, dass Redeanteile bei Veranstaltungen fair verteilt sind und die Akteur*innen sich nicht gegenseitig unterbrechen oder auf einer persönlichen Ebene argumentieren. Wertschätzung bedeutet auch, dass alle Teilnehmenden sich auf Gespräche gut vorbereiten und beim Thema bleiben. Ich hatte kürzlich gemeinsam mit einer Kollegin erstmals einen Redebeitrag in der Personalversammlung der Hochschule Merseburg. Für uns war das eine wichtige und auch aufregende Aufgabe. Das positive Feedback und die damit entgegengebrachte Wertschätzung unserer Kolleg*innen hat uns gut getan. Abschließend ist es mir wichtig, zu betonen, dass Wertschätzung und Toleranz die Grundlage für ein gutes Miteinander sind. Dabei gibt es aber auch Grenzen, die dann erreicht sind, wenn sich Menschen diskriminierend verhalten.
Chris Tischer
Ich kann verstehen, dass unsere Dozierenden mit „Sie“ angesprochen werden möchten. Ich finde, die Art, wie das eingefordert wird, aber mitunter etwas rau. Zum respektvollen Umgang gehört für mich auch aktives Zuhören. Es darf nicht nur darum gehen, die eigene Meinung durchzudrücken. Insofern war es cool, dass Studis reagiert und gesagt haben, dass Respekt auf Gegenseitigkeit beruhen muss. Es ist wichtig, dass wir dazu eine Debatte haben, dass wir uns gegenseitig Fehler eingestehen und dass wir versuchen, besser aufeinander einzugehen. Dazu gehört auch, dass Menschen in der Kommunikation nicht verletzt werden. Für mich als nicht-binäre Person bedeutet das z. B., dass eine gendergerechte Sprache verwendet wird. Kommunikation und Sprache waren schon immer im Wandel. Es wäre ich es schön, wenn dafür noch mehr Offenheit entsteht. Weiterbildungen zum Thema Identität und Kommunikation könnten unsere Dozierenden dabei helfen, die Studierenden, die zum Teil in völlig anderen Welten leben, besser zu verstehen. Ich finde es immer unglaublich wertschätzend, wenn ich ein Feedback erhalte, aus dem ich lernen kann. Denn dafür bin ich hier an der Hochschule: um zu lernen und mich weiterzuentwickeln!
Chris Tischer studiert im Bachelor Soziale Arbeit
Prof. Dr. Jörg Kirbs
Prof. Dr. Jörg Kirbs | ehem. Rektor der Hochschule Merseburg
Achtung drückt sich nicht nur darüber aus, dass wir uns gegenseitig siezen. Auch Pünktlichkeit ist für mich ein wichtiges Thema. Vor allem aber wünsche ich mir, dass wir uns an der Hochschule Merseburg mit unseren unterschiedlichen Meinungen akzeptieren! Das betrifft z. B. die Gegner*innen und Befürworter*innen des Gendersternchens. Wenn Menschen mir unhöflich begegnen, steckt oft Unwissenheit dahinter. Ich versuche in solchen Situationen, ruhig zu bleiben und die Dinge sachlich zu klären. Trotzdem habe ich viele schlaflose Nächte. Freude bereiten mir hingegen Studierende, die kritisch denken und sich engagieren. Ein junger Mensch, der nicht in Opposition geht, verpasst etwas im Leben. Wichtig sind aber ein offener Meinungsaustausch und gegenseitige Toleranz! Im Arbeitsalltag stehen die Interessen der Hochschule für mich vor meinen eigenen. Ich wünschte, es würde noch mehr Hochschulangehörigen so gehen. Vielleicht könnten wir dann gemeinsam noch mehr erreichen. Wertschätzung durfte ich zuletzt gestern erleben: Eine Kollegin hat sich für das gute Krisenmanagement des Rektorats in der Corona-Zeit bedankt.
Nicolas Krieg
Ich möchte Teil des Kosmos Hochschule sein und nicht nur eine unbekannte Nummer. Deshalb engagiere ich mich viel, z. B. im Studentenclub Wärmi oder aktuell im StuRa. Viele Dozenten und Entscheidungsträger unserer Hochschule kenne ich inzwischen persönlich. Ich weiß, dass sie auch nur Menschen sind, die versuchen, die Dinge nach bestem Wissen und Gewissen zu gestalten und zu steuern. Deshalb spreche ich offen mit ihnen und stelle direkte Fragen. Damit habe ich gute Erfahrungen gemacht. Direkte Fragen ergeben direkte Antworten. Im ersten Semester hätte ich mir das aber sicher noch nicht getraut. Respekt bedeutet für mich vor allem, ernst genommen zu werden. Weil das auf Gegenseitigkeit beruht, ist es mir wichtig, auch meinem Gegenüber zu zeigen, dass ich ihn oder sie ernst nehme. Manchmal bedeutet Respekt auch, zu akzeptieren, dass jemand eine Frage nicht beantworten will. Ein kurzer Gruß oder ein flüchtiges Gespräch im Flur reichen mir schon, um mich erkannt und wertgeschätzt zu fühlen.
Nicolas Krieg | Student im Master Wirtschaftsinformatik
Dr. Gabi Meister
Dr. Gabi Meister | Leiterin des International Office/Language Centre
Höflichkeit, Freundlichkeit und Wohlwollen im Umgang miteinander sind Themen, die mir persönlich wichtig sind. Zu 90 Prozent funktioniert die respektvolle Kommunikation an unserer Hochschule sehr gut. Die restlichen 10 Prozent sind dafür umso schwerer zu ertragen. Ich bin schon viele Jahr an der Hochschule und denke, dass das früher anders war. Wir haben uns mehr Zeit für das Miteinander genommen. Oft sind es die kleinen Gesten, die mir ein Gefühl von Wertschätzung geben: Der Professor, der uns regelmäßig Postkarten aus dem Ausland schickt. Der Alumni, der sich nach Jahren wieder meldet. Die Kollegin, die mir sagt, dass ich ihr geholfen habe! In Schutz nehmen möchte ich unsere internationalen Studierenden. Beim Thema Kommunikation wissen sie es oft nicht besser. Ein chinesischer Student hat mich einmal mit „Ich grüße Sie, meine Alte“ angeschrieben. Darüber musste ich herzlich lachen. In China erhalten ältere Menschen für Ihre Weisheit viel Respekt. Der Student wollte einfach höflich sein!
Carmen Claudia Martinez-Gomez
Ich bin keine deutsche Muttersprachlerin und kann mich daher nicht so gut ausdrücken. Wenn ich es versuche, führt das oft zu Missverständnissen. Einmal hat ein Dozierender mir gesagt: „Ich frage dich nicht, weil du nicht so gut Deutsch sprichst.“ Das hat mich sehr verletzt. Ansonsten sind an unserer Hochschule aber bisher alle sehr nett und respektvoll zu mir. Manchmal erlebe ich, dass meine Kommiliton*innen sogar zu vorsichtig sind. Sie trauen sich nicht, bestimmte Fragen zu stellen, weil das vielleicht nicht politisch korrekt ist, z. B. „Woher kommst du?“ Bitte fragt mich! In Mexiko geht es sehr locker, lebendig und herzlich zu. Man küsst sich zur Begrüßung. Alle sagen "Du" zueinander. Ich vermisse das! Ich möchte meine Freunde hier ganz fest drücken und ihnen sagen, dass ich sie liebe. Aber ich habe das Gefühl, das gehört sich nicht. Manchmal fühle ich mich deshalb ein bisschen traurig. Dann bauen mich mein deutscher Freund und meine Gastfamilie wieder auf. Wertschätzung bedeutet für mich, dass Leute mich fragen „Wie geht es dir?“ und mehr als ein „Mir geht es gut!“ erwarten.
Carmen Claudia Martinez-Gomez | Studentin im Bachelor Chemie- und Umwelttechnik
Sarah Pukall
Sarah Pukall | Projektmitarbeiterin "International HoMe", Prorektorat für Forschung, Wissenstransfer und Existenzgründung
Wenn wir über respektvollen Umgang sprechen, ist es aus meiner Sicht essenziell, Meinungen zu akzeptieren, die von den eigenen Ansichten abweichen. Das Gegenüber abzuwerten oder gar den ganzen Menschen abzulehnen, weil er oder sie anders denkt, geht gar nicht. Es gibt natürlich gewisse Grenzen, in denen dies möglich ist. Mit einer Person aus dem rechtsextremen Spektrum könnte und wollte ich nicht befreundet sein. Ich denke, der Schlüssel zu einem respektvollen Miteinander liegt in der Fähigkeit, andere Perspektiven einzunehmen und Verschiedenartigkeit als Gewinn zu betrachten. Davon auszugehen, dass die eigene Meinung die einzig ‚richtige‘ ist, hilft nicht. Wir von International HoMe haben in diesem Jahr einen Workshop zum Thema Interkulturelle Kommunikation im Hochschulkontext organisiert, bei dem es genau darum ging. Das positive Feedback meiner Kolleg*innen gibt mir das Gefühl, mit diesem Thema einen richtigen Nerv getroffen zu haben.
Uwe Bachmann
Respektvoller Umgang bedeutet für mich, dass man freundlich ist, den Ton wart und auch dann nicht die Stimme erhebt, wenn einem etwas gegen den Strich geht. Unter Handwerker*innen herrscht normalerweise ein lockeres Miteinander. In der Kommunikation mit unseren Professor*innen muss es dem gegenüber förmlicher zugehen. Von meinen Mitarbeitenden erwarte ich, dass sie die Gepflogenheiten hinsichtlich des respektvollen Umgangs miteinander an der Hochschule kennen und berücksichtigen. Wenn mir selbst jemand unhöflich gegenübertritt, bewahre ich die Ruhe. Dennoch passiert es, dass mich das Problem bis in die Nacht beschäftigt. Länger als einen Tag bin ich aber meist nicht nachtragend. Ich fühle Wertschätzung, wenn Kolleg*innen sich bei mir bedanken, weil wir von den Liegenschaften bei der Lösung eines Problems schnell helfen konnten. Kürzlich hatte ich einen runden Geburtstag. Zu meiner großen Überraschung haben mir viele Mitarbeitende geschrieben und gratuliert, von denen ich nicht einmal dachte, dass sie meinen Geburtstag kennen. Das war eine schöne Erfahrung!
Uwe Bachmann | Dezernent im Dezernat Liegenschaftsverwaltung und Technik
Moritz Hänel
Moritz Hänel | Student im Bachelor Kultur- und Medienpädagogik
Für mich ist respektvolle Kommunikation vor allem ein Geben und Nehmen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass unsere Dozierenden erwarten, dass sie mehr Achtung erhalten, weil sie höher in der Hierarchie stehen. Ich persönlich bin der Meinung, dass alle Menschen gleich viel Respekt verdienen. Schlimm finde ich, wenn Kommiliton*innen aufgrund ihres Geschlechts nicht ernst genommen werden. Zum Glück passiert das aber eher selten. Ich verstehe es vollkommen, dass unsere Professor*innen nicht geduzt werden möchten. Andererseits haben wir den HoMe-Vorteil, dass wir eine kleine Hochschule sind. Dadurch lernt man die Dozierenden schnell persönlich kennen. Bei uns im SMK-Bereich ist es deshalb normal, dass man sich in den höheren Semestern duzt. Es fühlt sich einfach natürlich an. Wir sind wie eine kleine Familie! In diesem Semester bin ich Mentor für unsere Erstis. Wenn die Studis sich bei mir bedanken oder berichten, dass ich ihnen helfen konnte, fühle ich mich wertgeschätzt.
Christian Schimpf
Eine meiner Aufgaben als Projektmitarbeiter im Bereich Weiterbildung / HoMe Akademie beinhaltet das interne und externe Beziehungsmanagement. Ein offener, respektvoller Umgang ist dabei eine Grundvoraussetzung. Ich beobachte jedoch, dass die räumliche Trennung in der Pandemie-Situation schneller zu Fehldeutungen oder gar zur Stärkung von Vorurteilen führen kann. Der Mensch kommuniziert eben nicht nur mit dem Mund oder der Hand allein. Um das gegenseitige Verständnis zu stärken, hilft es, Räume zu schaffen, um sich kennenzulernen, sich auszutauschen, voneinander zu lernen, sich Hinweise zu geben und Synergien zu bündeln. Gemeinsam mit HMK hat unser Team Gartenhaus deshalb den „Café Plausch“ für Mitarbeitende am letzten Mittwoch jeden Monats ins Leben gerufen. Wertschätzung bedeutet für mich, z. B. ein Dankeschön von meinem Vorgesetzten zu erhalten. Nach unserem Netzwerktreffen für Unternehmer*innen während der Firmenkontaktmesse an der Hochschule Merseburg hat mich noch wochenlang positives Feedback erreicht. Das war ein tolles Gefühl!
Christian Schimpf | Projektmitarbeiter Beziehungsmanagement, Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit im Bereich Weiterbildung / HoMe-Akademie
Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp
Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp | Professor für Sozialarbeitswissenschaft / Systemische Sozialarbeit und Mitglied der Vertrauensstelle der Hochschule Merseburg
Insgesamt finde ich, dass wir an unserer Hochschule alle sehr respektvoll miteinander umgehen. Allerdings treffen hier natürlich viele verschiedene Gruppen bzw. Bubbles aufeinander und damit auch unterschiedliche Umgangsformen. Dies immer auszuhalten, ist manchmal schon eine Herausforderung. Meinen Studierenden biete ich gerne das „Du“ an, nicht alle nehmen das an. Wenn ich etwas als respektlos empfinde, sage ich das. Gleichzeitig unterstelle ich der anderen Person aber auch, dass sie oder er es nicht respektlos gemeint hat. Begegnet mir jemand unfreundlich, nehme ich das durchaus sportlich. „Eines Tages bringe ich dich schon noch zum Lächeln!“, denke ich mir dann. Manchmal passiert es, dass ich mich aufrege und zu emotional reagiere. Das ist mir hinterher dann unangenehm und tut mir leid. Als Wertschätzung erlebe ich es zum Beispiel, wenn ein Seminar gelingt, weil die Studierenden sich mit engagierten und spannenden Beiträge beteiligen. An solchen Tagen freue ich mich und bin zufrieden.