Ausgezeichnet: Projekt von Tina Fuhrmann überzeugt mit Innovationspotential
Tina Fuhrmann ist Lehrkraft für besondere Aufgaben für Physik und Mathematik an der Hochschule Merseburg. In Zusammenarbeit mit SL² hat sie einen Projektantrag zum Thema „Lernendenzentriertes Physikpraktikum an der Hochschule Merseburg“, kurz „PhysLab@HoMe“, für die Ausschreibung „Freiraum 2022“ der Stiftung Innovation in der Hochschullehre eingereicht und als einziges Projekt im Land Sachsen-Anhalt einen Zuschlag erhalten. Von 573 Anträgen wurden 204 bewilligt. Das Projekt von Tina Fuhrmann gehört dabei zu den besten 134. Die Fördersumme für das Projekt beträgt insgesamt knapp eine viertel Million Euro.
Für Lehre, Forschung und Wissenschaft hat sich Tina Fuhrmann schon immer begeistert. Seit 2014 ist sie an der Hochschule Merseburg in verschiedenen Projekten tätig gewesen und seit fast vier Jahren als Lehrkraft für besondere Aufgaben im Einsatz.
Wir haben mit ihr über das Projekt, ihren Antrieb, ihre Ziele und darüber gesprochen, wo ihre Begeisterung für die Lehre herkommt.
Was hat Sie eigentlich dazu bewogen, den Projektantrag einzureichen?
Projektideen schwirren immer in meinem Kopf herum. Für die Umsetzung der Ideen sind zwei Dinge allerdings immer unerlässlich: Zeit und Geld. Deswegen freue ich mich sehr, dass ich im September mit der Arbeit loslegen konnte, im Dezember personelle Unterstützung bekomme und in den nächsten zwei Jahren Zeit habe, im Rahmen des Projektes verschiedene Ideen in der Lehre auszuprobieren.
Was ist das Ziel des Projektes „Lernendenzentriertes Physikpraktikum“?
Wie der Name schon sagt, soll das Physikpraktikum mehr auf die Bedürfnisse unserer Studierenden angepasst werden. Wir wollen das Praktikum so verändern und anpassen, dass alle Studierenden die Möglichkeit bekommen, mitgenommen zu werden und die Inhalte durchdringen zu können. Dafür wollen wir neue Lehrformate ausprobieren.
Wie laufen die Praktika in den Laboren bisher?
Bisher läuft es an vielen Stellen wie folgt ab: Die Studierenden bekommen eine Aufgabenstellung mit ein paar Stichpunkten zur Theorie, zum Versuchsaufbau, zu den benötigten Materialien und zur Versuchsdurchführung. Das ist für einige aber schwierig, weil sie in der Schulzeit weder selbst experimentiert oder Protokolle geschrieben haben noch mit der Physik dahinter vertraut sind. Im Projekt wollen wir damit starten, verschiedene Sachen anders anzugehen und auszuprobieren.
Was wollen Sie anders machen? Was unterscheidet das neue Praktikum vom alten?
Die Herangehensweise an einen Praktikumsversuch soll so geändert werden, dass die betreuende Lehrperson, die das Know-how hat, nicht mehr (nur) das Wissen vermittelt. Sie soll eher eine Art Coach sein, der die einzelnen Gruppen genau da unterstützt, wo diese Hilfe benötigen. Dass können Inhalte sein, aber auch die Herangehensweise, experimentelle Kompetenzen, fachliche Diskussionen etc. Derzeit kommen diese Dinge aufgrund vieler anderer Schwierigkeiten leider zu kurz.
Zudem wollen wir Studierende auf dem gesamten Weg durch das Praktikum unterstützen und sie nicht mehr „einfach“ mit der Versuchsanleitung nach Hause schicken und dann erst im Praktikum wiedersehen. Dazu wollen wir zunächst einen Einblick in den gesamten Lern- und Arbeitsprozess der Studierenden erhalten, z.B. mittels Umfragen. Darauf aufbauend wollen wir verschiedene Methoden entwickeln, wie wir die zuvor genannten Ziele erreichen können. In den nächsten zwei Jahren möchten wir diese Methoden ausprobieren, schauen, was gut läuft und umsetzbar ist, und diese dann fest implementieren und weiter verbessern.
Und Ihre persönliche Motivation – warum liegt Ihnen das Thema so am Herzen?
Ich bin mit Leib und Seele Physikerin. Ich mag Physik, weil man (fast) alles mit Physik erklären, umsetzen und verstehen kann. Das ist faszinierend. Und natürlich lehre ich auch unglaublich gerne. Es ist schön, wenn ich mit Studierenden in Kontakt treten kann, diskutieren kann, ihnen weiterhelfen und die Inhalte vermitteln kann und dabei sogar immer mal wieder selbst ins Nachdenken komme. Wenn die Wissensvermittlung zu Aha-Momenten bei den Studierenden führt, sind das ganz besonders tolle Momente. Es ist schön, sie ein Stück weit ihres Weges begleiten zu können.
Sie haben im Gespräch eine heterogenere Studierendenschaft erwähnt. Was meinen Sie damit? Was ist daran herausfordernd?
Unsere Hochschule hat sich geöffnet und mittlerweile eine viel breitere Zielgruppe. Das finde ich wirklich gut und wichtig, vor allem aber auch wirklich interessant. Ich kann ebenfalls sehr viel von unseren Studierenden lernen.
Wir geben immer mehr Leuten die Chance auf ein Studium, zum Beispiel jungen Leuten, die in ihrer Familie die ersten sind, die ein Studium absolvieren, Menschen, für die Deutsch eine Fremdsprache ist, Personen, die vorher eine Ausbildung gemacht haben und danach nicht mehr weitergekommen sind, Studierenden mit Kindern und vielen Leuten mit ganz krummen Lebenswegen.
Gleichzeitig ist die Heterogenität sehr herausfordernd, da unsere Lehrmethoden noch nicht darauf ausgerichtet sind. Wenn ich weiterhin versuche, die traditionellen Lehrformen zu nutzen, dann ist das für mich sehr deprimierend. Zum Beispiel im Praktikum: Ich sehe dann, dass ich viele Studierende überfordere und sie nicht nur kaum einen Mehrwert haben, sondern dass ich sogar das Gefühl vermittle, sie könnten es nicht und seien als Ingenieur*innen nicht geeignet. Das darf nicht passieren.
Meine Kolleg*innen und ich wollen schauen, dass wir geeignetere Methoden finden. Es passt eben nicht mehr ein Konzept für alle.
Was können Studierende erwarten, worauf können sie sich freuen?
Ein großes Ziel von mir ist es, Studierenden noch mehr Freude am Praktikum und an der Physik zu vermitteln sowie das Gefühl „Ich kann das“!
Gern möchte ich, dass Studierende die Lehre und das Praktikum mitgestalten – sowohl während des Semesters als auch langfristig. Dieser Ansatz wurde bei der Begutachtung des Projektes sehr positiv eingeschätzt.
Was wollen Sie den Studierenden mitgeben – losgelöst vom Physikpraktikum?
Bleiben Sie dran, auch wenn es manchmal langweilig, schwierig oder vermeintlich sinnlos ist! Suchen Sie das Gespräch mit Ihren Dozent*innen, wenn es Probleme gibt – egal ob fachlich, persönlich, organisatorisch oder was auch immer. Die meisten Dozent*innen hier sind froh, wenn sie von den Problemen erfahren und etwas tun können.
Schauen Sie, wenn möglich, auch mal nach rechts und links im Studium – vielleicht bietet sich die Möglichkeit, als Hilfskraft zu arbeiten, ein Stipendium zu erhalten, einen Auslandsaufenthalt zu machen. Das sind alles wundervolle Erfahrungen.