Das digitale Baugenehmigungsverfahren

Das digitale Baugenehmigungsverfahren

Digitalisierung erleichtert vielen Menschen den Alltag und ist aus dem täglichen Leben eines jeden Einzelnen nicht mehr wegzudenken. Doch was verbirgt sich hinter dem Begriff Digitalisierung eigentlich? In den letzten Jahrzehnten hat sich der Begriff von einem neutralen, technischen Vorgang zu einem positiv konnotierten und zukunftsorientierten Sammelbegriff für die Modernisierung in unterschiedlichen Bereichen des Alltagslebens entwickelt. Was mit der Digitalisierung von Texten und Bildern begann, wurde sukzessive auf die Bereiche Verkehr und Logistik, Produktionstechnik, Bildung oder den Verwaltungsbereich ausgedehnt. Ronny Weinkauf, Professor für Informatik, Datenbanken und Verteilte Systeme an der Hochschule Merseburg, beschäftigt sich in Lehre und Forschung mit den Themen Digitalisierung und Digitale Transformation. Seinen Fokus hat er dabei auf das Thema Verwaltungsvorgänge gelegt. Zusammen mit seiner Firma brain-SCC GmbH hat er eine Software konstruiert, mit deren Hilfe sich Baugenehmigungsverfahren komplett digital abwickeln lassen. Bislang kommt die Software beim Landkreis Nordwestmecklenburg in Mecklenburg-Vorpommern als Pilotanwender zum Einsatz. Ein Ausrollen der Software auf Ebene der Bundesländer ist in Arbeit und für Ende 2023 eingeplant.

 

Professor Weinkauf, was verstehen Sie unter Digitalisierung und Digitaler Transformation?

Ich würde es gerne an einem Beispiel erklären: Früher lagen in Autos Straßenkarten, die die Richtung vorgegeben haben und an denen sich orientiert werden konnte. Um diese Straßenkarten zu digitalisieren, müssten wir ein Foto machen oder sie scannen. Nun könnte der Beifahrer oder der Fahrer unterwegs die Bilddatei oder das PDF mit einem Smartphone anschauen. Man bräuchte die Straßenkarte nicht mehr aufzuklappen – sie wäre digitalisiert.

Die digitale Transformation geht über die Digitalisierung hinaus. Der digitalisierte Straßenverlauf in einem Navigationssystem, was mir den gewünschten Weg weist, ist ein Beispiel für digitale Transformation. Die Straßenkarte wurde nicht nur in die digitale Welt überführt, sondern durch Mehrwertfunktionen wurde die ganze Art zu navigieren revolutioniert.

Digitale Transformation bedeutet also, das Digitale zu übersetzen, um eine neue Qualität zu erreichen und die technischen Möglichkeiten zu erweitern.

 

Woher rührt Ihr Interesse am Thema insgesamt?

Meine erste Arbeitsaufgabe als Berufseinsteiger bestand darin, eine Software zu entwickeln, die Arbeitsaufgaben in der Kommunalverwaltung unterstützt. Das Thema hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Heute würde man das, was damit langfristig beabsichtigt war, als digitale Transformation von Verwaltungsvorgängen bezeichnen. Mit dieser Vision setze ich mich nun schon seit fast 30 Jahren beruflich in Theorie und Praxis auseinander.

 

Wie ist die Idee entstanden, Baugenehmigungsverfahren zu digitalisieren?

Seit Ende der 90er-Jahre forsche ich mit Kolleginnen und Kollegen an entscheidungsunterstützenden Systemen und Möglichkeiten, Verwaltungsvor-gänge digital abzuwickeln und zu transformieren. 2017 hatte die brain-SCC GmbH die kommerzielle Idee, eine Softwarelösung zu entwickeln, die alle Verwaltungsvorgänge digital transformieren kann. 2018 kam dann die Anfrage aus der Praxis, ob damit auch das als besonders komplex geltende Baugenehmigungsverfahren digitalisiert werden kann.

 

Sind im Entwicklungsprozess Probleme aufgetreten?

Ja, die gab es wirklich. Als die Anfrage kam, ob man das Baugenehmigungsverfahren entsprechend abbilden kann, hatten wir einen Pilotanwender, das war der Landkreis Nordwestmecklenburg aus Mecklenburg-Vorpommern. Und wir haben nach bestem Wissen und Gewissen ein Softwarekonzept und eine Softwareanwendung entwickelt. Die hat funktioniert und wurde auch über ein Jahr eingesetzt. Allerdings war die erste Version nicht besonders nutzerfreundlich und aufwendig zu administrieren.

Die Bedienung war also nicht intuitiv genug, die Nutzeroberfläche nicht selbst erklärend genug und wenn die Internetverbindung zusammengebrochen ist, waren teilweise Daten weg. Deswegen mussten wir die komplette Benutzeroberfläche aus Sicht des Antragstellers neu entwickeln. Dabei wurde dann viel Wert auf das Nutzererlebnis gelegt, sowohl vom Entwurf her mit Mockups, vom Design her als auch bei der Umsetzung insgesamt. Das sind letztendlich Erfahrungswerte, auf denen man aufbauen kann und die man auch braucht, um Anpassungen vorzunehmen und die Software so benutzerfreundlich wie möglich zu gestalten. Es gibt bei uns in der Lehre den Schwerpunkt User Experience, wo das Nutzererlebnis in den Vordergrund der Softwareentwicklung gestellt wird. Diese Methoden kamen zum Einsatz und haben uns geholfen, die Software so anzupassen, dass sie den Anforderungen und Wünschen der Nutzer entspricht.

Die neu geschaffene Lösung – intuitive Benutzeroberfläche, zeitgleich gemeinschaftlich am Antrag arbeiten, ohne Daten zu überschreiben etc. – konnte den ersten Versuch im Landkreis Nordwestmecklenburg erfolgreich ablösen. Das war die Basis und die gelungene Evaluierung, um die Software flächendeckend einsetzen zu können.

Was ist besonders?

Das Neue ist die Metapher, dass alle Beteiligten – von Antragstellerseite, von der Baubehörde und von den Fachbehörden – in einem virtuellen Großraumbüro sitzen. In diesem virtuellen Großraumbüro schaut man in Echtzeit auf die gleichen Vorgangsdaten. Dadurch hat man, wenn man miteinander kommuniziert, den gleichen Datenstand, und es fallen die in der analogen Welt notwendigen Postwege weg. Zudem profitieren vom digitalen Baugenehmigungsverfahren alle am Prozess beteiligten Akteure – Antragsteller, Kommunalverwaltung und Verfahrensbeteiligte. Da z. B. bei Nachforderungen kein Schriftstück aufgesetzt werden muss und Dokumente per Knopfdruck in Echtzeit freigegeben werden können, schafft man einen Mehrwert und dadurch die notwendige Akzeptanz.

Papierberge, unzählige Ordner, viele Telefonate und Gänge zum Amt gehören mit der digitalen Baugenehmigung der Vergangenheit an. Vom Wunsch zu bauen bis zur Genehmigung schafft der digitale Bauantrag maximale Flexibilität. Denn die Nutzer können wann und wo sie wollen daran arbeiten.

 

Wer war an der Entwicklung beteiligt?

An der Entwicklung der theoretischen Grundlagen an unserer Hochschule waren und sind Studierende und Absolventen der Fachrichtungen Informatik, Wirtschaftsinformatik und Informationsdesign beteiligt. Extern liegt die Produktentwicklung bei der brain-SCC GmbH, die im Regionalen Digitalisierungszentrum mit zahlreichen Praxispartnern der Region zusammenarbeitet. Das Regionale Digitalisierungszentrum Merseburg wird vom Merseburger Innovations- und Technologiezentrum GmbH (mitz) geleitet. Aktive Partner sind außerdem der Saalekreis und die Städte Merseburg, Schkopau und Leuna.

Um die „Merseburger Lösung“ bundesweit zu platzieren, kommt das Land Mecklenburg-Vorpommern dazu. Es ist deutschlandweit der sogenannte Themenführer für den Bereich der Verwaltungsleistungen im Bereich Bauen und Wohnen, d. h. Mecklenburg-Vorpommern erhält vom Bund Geld, um eine „Einer für Alle“-Lösung für alle bundesweiten Baugenehmigungsverfahren zu entwickeln, die nicht nur in M-V angewendet wird, sondern die alle Bundesländer nachnutzen können. Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist sowohl als Kunde als auch als Ideengeber zusammen mit eingebundenen Unternehmensberatungen und seinem Landesrechenzentrum an der Entwicklung beteiligt.

 

Hat bei der Entwicklung und Implementierung auch der Aspekt der Nachhaltigkeit eine Rolle gespielt?

Ja, aber das ist nicht explizit aufbereitet oder berücksichtigt. In Zukunft stelle ich mir da eine ganz wichtige Möglichkeit vor, die die digitale Transformation bieten wird, indem man Nachhaltigkeitskriterien definiert und diese möglichst automatisiert prüft. Das, was wir an entscheidungsunterstützenden Systemen an unserer Hochschule bereits erforscht und publiziert haben, soll mittelfristig in der Praxis helfen, die Ziele der nachhaltigen Entwicklung zu erreichen.

 

Was könnten das für Nachhaltigkeitskriterien sein?

Das ist zum Beispiel der Verbrauch von Fläche oder die Lage des Bauvorhabens in Verbindung mit Schutzzielen. Zu den Themen haben wir gerade eine Masterarbeit in Wirtschaftsinformatik laufen, um dazu technologisch erste Vorbereitungen zu treffen.

 

Kommt der digitale Bauantrag schon flächendeckend zum Einsatz?

Zehn Bundesländer führen die digitale Baugenehmigung gerade ein, dazu zählen auch Sachsen-Anhalt und Sachsen. Die gute Nachricht ist, dass unsere Lösung aus Merseburg eine bundesweite Lösung werden soll. Beim sogenannten Rollout in den zehn Bundesländern stehen wir aber noch am Anfang. Allerdings sind schon mehrere Aufsichtsbehörden im Einsatz. Das heißt, es werden die ersten Pilot-kommunen ausgeliefert. Jedoch wird es ungefähr noch ein Jahr dauern, ehe wir das in der Fläche merken.

Ziel ist es, allen 16 Bundesländern eine zentral vom Bund finanzierte Lösung anzubieten.

 

Besteht die Möglichkeit, das Antragsverfahren einer digitalen Baugenehmigung auch auf andere Bereiche auszuweiten?

Das ist genau die Stärke unseres Konzeptes. Im Gegensatz zu anderen Lösungen haben wir die Baugenehmigung nur als einen von vielen Anwendungsfällen betrachtet. Die digitale Transformation aller Verwaltungsleistungen kann nun in Angriff genommen werden.

 

 

 

Kontakt

Prof. Dr. Ronny Weinkauf
Professur für Informatik, Datenbanken und Verteilte Systeme
Raum: Hg/F/0/009
Telefon: +49 3461 46-2959

Infobox: Das digitale Baugenehmigungsverfahren ermöglicht es allen am Verfahren Beteiligten, auf einer Oberfläche zeitgleich und kollaborativ zu arbeiten. Die Möglichkeit, papierlos, wann und von wo sie wollen zu arbeiten, schafft maximale Flexibilität und ist das Besondere an der digitalen Baugenehmigung.

Weitere Informationen: www.ronny-weinkauf.de

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