Interview mit Prof. Stephan Schmidt

Mobilität im Wandel
Interview mit Prof. Stephan Schmidt

Mobilität im Wandel: Herausforderungen und Perspektiven

Stephan Schmidt ist Professor für Mechatronische Systeme an der Hochschule Merseburg. Forschungsseitig liegt ihm das Thema Mobilität am Herzen. Sein Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf die Realisierung von nachhaltiger und intelligenter Fortbewegung mittels Mikromobilen. Über die zukünftige Entwicklung der Mobilität, seine Zukunftsvision und das Thema insgesamt hat er im Interview interessante Einblicke gegeben.

 

Herr Professor Schmidt, wie definieren Sie Mobilität und wie hat sich das Verständnis davon in den letzten Jahrzehnten verändert?

Mobilität ist ein vielschichtiger Begriff. Neben der sozialen oder beruflichen Mobilität bezieht er sich im engeren Sinne auf die Beweglichkeit von Personen und Gütern im geografischen Raum – sowohl tatsächlich als auch potenziell. So wird Mobilität allgemein als physische, psychische oder soziale „Beweglichkeit“ definiert. In den letzten Jahrzehnten hat sich unsere Wahrnehmung von Mobilität stark verändert. Früher lag der Fokus hauptsächlich auf der klassischen Individualmobilität, also dem eigenen Auto und dem öffentlichen Nahverkehr. Heute ist das Verständnis vielfältiger geworden: Es umfasst nicht nur die physische Bewegung, sondern auch den Zugang zu unterschiedlichen Verkehrsmitteln und die Wahl, welches am besten zur jeweiligen Situation passt. Moderne Mobilität schließt auch ökologische Aspekte, E Mobilität und Sharing-Konzepte ein. Die Möglichkeiten haben sich stark erweitert, und die Integration verschiedener Verkehrsmittel wird immer wichtiger.

 

Wie sieht Ihr täglicher Arbeitsweg aus, und welche Verkehrsmittel nutzen Sie regelmäßig?

Ich bin sowohl „multimodal“ als auch „intermodal“ unterwegs (lacht) – das bedeutet, dass ich unterschiedliche Verkehrsträger in verschiedenen Phasen meines Arbeitsweges benutze. Multimodal beschreibt die Nutzung von verschiedenen Verkehrsträgern in einem bestimmten Zeitraum, während intermodal die Kombination von verschiedenen Verkehrsträgern auf einer Wegstrecke meint. Mein typischer Arbeitsweg beginnt mit dem Auto, das mich auf einer zwei Kilometer langen Strecke über den Kindergarten zum örtlichen Bahnhof bringt. Dann geht es mit dem Zug über Magdeburg und Halle gut 120 Kilometer bis zum Bahnhof Merseburg. Von dort geht es mit dem Fahrrad weitere zwei Kilometer zur Hochschule. Ich verlasse um 7:00 Uhr das Haus und bin, wenn alles gut geht, um 9:30 Uhr an der Hochschule.

 

Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach neue Technologien wie autonomes Fahren oder Elektromobilität in der Zukunft des Pendelns?

Autonomes Fahren ist das Versprechen, dass wir bequem und sicher an unser Ziel gelangen, ohne selbst fahren zu müssen und ohne an vorgegebene Routen gebunden zu sein – eine ideale Mischung aus Individualverkehr und öffentlichem Verkehr. Diese Vision erscheint mir aus der Perspektive des einzelnen Pendlers höchst attraktiv. Zudem sind sowohl Verkehrs- als auch Logistikunternehmen verstärkt mit dem Fachkräftemangel konfrontiert – Stichwort Fahrermangel –, sodass wir sicherlich auf allen Verkehrsträgern in Zukunft verstärkt automatischen Verkehr sehen werden. Ich beschäftige mich seit 2008 beruflich mit dem automatischen Fahren und verfolge die Entwicklung intensiv. Wenn man sich den Fortschritt in den letzten Jahren anschaut, dann muss man sagen, dass wir schon sehr weit gekommen sind. Das automatische und autonome Fahren steht vor der Tür. Erste Flottenversuche mit autonomen Robotaxis in China laufen bereits. Bis wir einen Grad an Sicherheit und Zuverlässigkeit erreicht haben, dass wir auch in Europa und Deutschland solche Systeme in den öffentlichen Verkehr bringen, wird es noch etwas dauern, aber ich bin überzeugt, dass autonomes Fahren kommen wird. Die Antriebstechnologie, wie Elektromobilität, ist dagegen nicht direkt mit dem Pendeln an sich verbunden. Am Elektroantrieb wird aufgrund des menschengemachten Klimawandels und der notwendigen Verschärfung der CO2-Grenzwerte kein Weg vorbeiführen. Gleichzeitig sollten wir nicht den Fehler machen, zu glauben, dass das bloße Ersetzen von Verbrenner-Pkw durch Elektrofahrzeuge oder autonome E-Pkw alle Umwelt- und Verkehrsprobleme löst. Verstopfte Straßen, Flächenverbrauch und Lärmbelästigung werden bleiben.

 

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung der Mobilität? Welche globalen Trends beobachten Sie derzeit im Bereich Mobilität, und wie könnten diese die Zukunft der Fortbewegung beeinflussen?

Aktuell stehen Städte, besonders in Europa, unter einem enormen Wandlungsdruck, ihren Verkehr mittelfristig CO2-neutral und nachhaltig zu gestalten. Ein globaler Trend, der diese Entwicklung stark beeinflusst, ist die Vision der „15-Minuten-Stadt“, bei der alle wesentlichen Dienstleistungen und Einrichtungen innerhalb von 15 Minuten erreichbar sein sollen. Solche Konzepte verändern grundlegend, wie Mobilität gestaltet wird und wie öffentlicher Raum in Städten genutzt wird. Beispiele hierfür sind „Begegnungszonen“ in Deutschland, Superblocks in Leipzig und Barcelona, die autofreie Innenstadt in Madrid oder der 70-prozentige Radanteil in Groningen. Diese Entwicklungen führen zu einer Transformation der Straßeninfrastruktur hin zu einem Raum, der nicht nur für Autos, sondern vor allem für Menschen gestaltet ist. Straßen werden zunehmend als Orte für soziale Interaktion und das alltägliche Leben wahrgenommen – ein Raum für spielende Kinder, Treffpunkte der Bewohner und für die Bedürfnisse schwächerer Verkehrsteilnehmer. Die zunehmende Verbreitung von E-Scootern, der boomende E-Bike-Markt und die jährlich sich verdoppelnden Verkaufszahlen von Lastenrädern zeigen, dass der Verkehr in Städten künftig digitaler und mikromobiler sein wird. Dennoch ist es wichtig zu betonen, wie sehr die Entwicklung der Mobilität nicht nur eine Frage von Fahrzeugen oder Antriebstechnologien ist, sondern auch stadtplanerische Aspekte betrifft. Diese Veränderungen müssen langfristig und mit Blick auf die Bedürfnisse der Städte und ihrer Bewohner gedacht werden.

 

Welche Verkehrsmittel (Technologien) oder Mobilitätskonzepte, die heute noch als futuristisch gelten, könnten Ihrer Meinung nach in den nächsten 20 Jahren zum Alltag werden?

Der Mensch bewegt sich seit jeher zu Land, zu Wasser und in der Luft. Ich erwarte da in den nächsten 20 Jahren nicht etwas grundlegend Neues. Es gibt zwar Zukunftstechnologien wie Flugtaxis und den Hyperloop, die mit dem Versprechen antreten, das Reisen zu revolutionieren. Ob diese allerdings als Massenverkehrsmittel wirklich tauglich sind oder nicht doch nur ein Spielzeug für Superreiche bleiben, muss die Zeit zeigen. Vielmehr glaube ich, dass sich unser Verhältnis zum Besitz von Fahrzeugen stark verändern wird. Konzepte wie Carsharing, Ridehailing oder Ridepooling werden verstärkt Verbreitung finden.

 

 

Wie wichtig ist die Integration verschiedener Verkehrsmittel für die Zukunft der Mobilität, und welche Herausforderungen sehen Sie bei der Umsetzung multimodaler Mobilitätskonzepte?

Hier müssen wir zwischen multimodal und intermodal unterscheiden. Multimodal sind wir fast alle unterwegs. Die eigentliche Herausforderung liegt jedoch bei der intermodalen Mobilität, also der Kombination verschiedener Verkehrsmittel auf einer einzigen Strecke. Hier gibt es noch viele Hürden. Ein großes Problem beim öffentlichen Verkehr sind die „erste und letzte Meile“: Wie komme ich zur Haltestelle, um meine Fahrt zu starten, und wie erreiche ich von der letzten Haltestelle mein Ziel? Auf kurzen Wegeketten erscheint mir hier die Fahrradmitnahme ein geeigneter Weg. In Bussen und in Straßenbahnen im ländlichen Raum ist das aktuell, aber schwierig. Auf langen Wegeketten, bei denen mehrfach umgestiegen werden muss wird das Fahrrad oder der E-Roller zur Belastung. Hier braucht es Sharing-Konzepte, die in der Stadt meist gut funktionieren, manchmal sogar kostendeckend. Auf dem Land hingegen ist die Umsetzung solcher Konzepte deutlich schwieriger. Die Herausforderung liegt nicht nur in der Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln, sondern auch in der Integration dieser verschiedenen Angebote. Hier braucht es durchdachte Konzepte, die eine nahtlose Verbindung zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern ermöglichen, um den Umstieg von einem Verkehrsmittel zum nächsten so einfach und bequem wie möglich zu gestalten.

 

Wenn Sie eine Zukunftsvision der Mobilität skizzieren könnten, wie würde diese aussehen?

Ich beschäftige mich schon seit einiger Zeit mit der Vision automatisierter Mikromobile. Mein Blick in die Zukunft umfasst ein System, bei dem ich ein selbstfahrendes Mikromobil – vielleicht ein Fahrrad oder ein ähnliches leichtes Fahrzeug – jederzeit anfordern, nutzen und anschließend wieder abgeben kann. Dieses Konzept zielt darauf ab, die „erste und letzte Meile“ im öffentlichen Nahverkehr zu schließen und gleichzeitig die Attraktivität des ÖPNV, auch im Zeitalter autonomer Pkw, zu erhalten. Das Besondere an dieser Vision ist die Kombination der Vorteile großer Verkehrsträger wie Busse und Bahnen, die hohe Kapazitäten beim Transport bieten, mit der Flexibilität des Individualverkehrs. Solche Mikromobile könnten durch selbstständige Verteilung und intelligent gesteuerte Systeme wirtschaftlich betrieben werden, vielleicht sogar im ländlichen Raum. Ich hoffe, dass in Zukunft die Mobilität mit kleinen, flexiblen Fahrzeugen, die individuell angefordert und genutzt werden können, eine deutlich größere Rolle in unserem Verkehrssystem spielen wird. Durch diese Technologien könnten wir nicht nur die Effizienz des Verkehrs verbessern, sondern auch die Lebensqualität steigern, indem sie die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln komfortabler und zugänglicher machen.

 

Nach oben