Katja Meier, Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung in Sachsen, hat zusammen mit dem Projektleiter der Studie, Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß, Hochschule Merseburg, am 6. April die Ergebnisse der ersten sachsenweiten Erhebung vorgestellt.
Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen ist eine Menschenrechtsverletzung – und sie kommt tagtäglich in allen gesellschaftlichen Schichten vor, in allen Altersgruppen – auch in Sachsen.
Um belastbare Zahlen zur Situation von gewaltbetroffenen Frauen in Sachsen zu erheben, hat das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (SMJusDEG) die »Dunkelfeldstudie zur Viktimisierung von Frauen durch häusliche Gewalt, Stalking und sexualisierte Gewalt« (VisSa-Studie) in Auftrag gegeben.
Seit Februar 2018 ist das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, kurz Istanbul-Konvention, geltendes Recht in Deutschland. Mit dem aktuellen Koalitionsvertrag hat die sächsische Staatsregierung diesen Auftrag angenommen, bedarfsgerechten Schutz für jene bereitzustellen, die in besonderem Maße geschlechtsspezifische Gewalt erfahren.
Derzeit werden Maßnahmen im Bereich des Gewaltschutzes in Bezug auf Frauen auf Grundlage von Studien entwickelt, deren Ergebnisse vor mehr als 17 Jahren gewonnen wurden oder alternativ auf Grundlage der aktuellen Polizeilichen Kriminalstatistik. Hier wiederum werden jedoch lediglich die Straftaten erfasst, welche durch Anzeigen oder durch eigene Ermittlung den Behörden zur Kenntnis gelangt sind. Je nach Deliktart steht diesem sogenannten »Hellfeld« von angezeigten Vorfällen ein unbekanntes »Dunkelfeld« gegenüber. Insbesondere bei sexuellen Übergriffen, aber auch bei Stalking und häuslicher Gewalt ist von einem sehr großen Dunkelfeld auszugehen. Die Dunkelfeldbefragung zu geschlechtsspezifischer Gewalt hat sich zum Ziel gesetzt, Licht ins Dunkel zu bringen. Denn damit die nötigen Hilfs- und Beratungsstrukturen geschaffen beziehungsweise ausgebaut werden können, ist es unabdingbar, darüber Bescheid zu wissen, wie häusliche und sexualisierte Gewalt entsteht und wie viele Menschen von ihr betroffen sind.
Die Hochschule Merseburg hatte sich mit ihrer Forschungsexpertise auf dem Feld der geschlechtsspezifischen Gewalt für die Studie qualifiziert und führte diese durch. Die Ergebnisse dieser ersten allein für den Freistaat Sachsen angefertigten Studie belegen unter anderem:
- Neun von zehn Frauen haben bereits mehrfach Hinterherpfeifen, aufdringliche Blicke, als unangemessen empfundene Sprüche und Ähnliches erlebt.
- Sexualisierte Gewalt in Form von Zwang zu sexuellen Handlungen erlebten 30 Prozent der Studienteilnehmerinnen, den Versuch, sie zu sexuellen Handlungen zu zwingen bereits mehr als die Hälfte. Die Täter waren fast ausschließlich Männer, der Tatort meist das eigene Wohnumfeld.
- 45 Prozent der Befragten erfuhren häusliche Gewalt auf psychischer Ebene und 35 Prozent auf körperlicher Ebene. Strenge Erziehung und ein gewaltvolles Klima stehen in einem engen Zusammenhang.
- Etwa jede dritte Befragte hat partnerschaftlich körperliche und/oder sexuelle Übergriffe erfahren. Wenn Kinder in der Beziehung vorhanden sind, richtet sich in der Hälfte der Fälle Gewalt auch gegen sie.
- 40 Prozent der Studienteilnehmerinnen haben Erfahrung mit Stalking.
- Nur knapp ein Drittel der von Gewalt Betroffenen nimmt professionelle Hilfe in Anspruch. Die Anzeigequote liegt je nach Tat zwischen vier und 13 Prozent.
Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurden Handlungsempfehlungen herausgearbeitet. Diese sollen in Zukunft dafür sorgen, dass das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Gewalt wächst, spezialisiertere Hilfsangebote gemacht werden können, Aufklärungsarbeit und Aus- und Fortbildungsmaßnahmen verstetigt werden und das Thema insgesamt stärker in den Fokus rückt.
Befragt wurden in der Zeit vom 16. Mai 2022 bis 1. Oktober 2022 in Sachsen lebende Frauen ab 16 Jahren. Ausgewertet wurden 1.341 online ausgefüllte Fragebögen. Das Alter der Teilnehmerinnen liegt in der Spannweite von 16 bis 74 Jahren. Dabei ist die mittlere Altersgruppe von 31 bis 40 Jahren besonders stark vertreten. Zusätzlich führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hochschule Merseburg qualitative Interviews mit Frauen mit Migrations- und Fluchtgeschichte und mit Frauen mit Behinderung.
Studienleiter Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß: „Forschung im Bereich Sexualwissenschaften ist stets durch höhere Hürden bei der Befragung geprägt. Denn es geht um intime persönliche Erfahrungen. Wenn zusätzlich nach gewaltvollen Erfahrungen gefragt wird, erschwert sich der Zugang zu Betroffenen erneut. Aus diesem Grund stellt sich eine anonyme Online-Befragung als günstigstes Befragungsinstrument dar. Gleichwohl ist uns bewusst, dass bestimmte Zielgruppen noch besser zu erreichen sind, wenn sie von einer geeigneten Person in ihrem vertrauten Umfeld persönlich befragt werden. Deswegen haben wir die ergänzende qualitative Erhebung durchgeführt. Durch sie haben wir vertiefende Erkenntnisse für Frauen mit Migrationserfahrung und Frauen mit Behinderung erlangt.“
Zusammengefasste Ergebnisse der Dunkelfeldstudie
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß
Professur für Sexualwissenschaft und Sexuelle Bildung
Fachbereich Soziale Arbeit.Medien.Kultur
E-Mail: heinz-juergen.voss@hs-merseburg.de