Studentin im Krisenmodus

04.06.2020, @ HoMe

Es ist nun Mai, der Frühling ist nicht mehr aufzuhalten, die Sonne kitzelt die Knospen aus den Pflanzen und doch bleiben die Straßen und Parks in Sachsen-Anhalt und der ganzen Welt weitestgehend leer. Auch wenn durch die Lockerungen wieder viele Menschen nach draußen gehen, ist die Corona-Krise allgegenwärtig. Wie ich als Studentin der Hochschule Merseburg die Krise erlebe? Ein Erfahrungsbericht.

Anfang März holte es mich ein. Der geplante Kurzurlaub mit meiner Familie am Ende des Monats musste ausfallen, wegen dem Erreger COVID-19. „Wegen was?“, fragte ich mich erst einmal und vor allem: „Warum?“ Die Tragweite einer weltweiten Pandemie hatte ich mir noch nie vor Augen geführt. Als nach und nach alle Geschäfte schlossen und Kontaktsperren verhängt wurden, dämmerte es mir. Jetzt bin ich mittendrin: In der ersten Krise meines Lebens, die ich nicht selbst verschuldet habe. Glücklicherweise ist niemand, den ich kenne, infiziert. Dennoch geht diese Zeit nicht spurlos an mir vorbei.

Die meisten Menschen – ich denke da vor allem an Selbstständige, Kassierer*innen, Ärzte*innen und Krankenschwestern, aber auch Mütter im Home Office – haben es mit der Bewältigung dieser Krise wohl wesentlich schwerer als ich. Der Studentenstatus ist ein großer Vorteil. Die erwartete Rezession der Wirtschaft wird mich beispielsweise kaum betreffen. Finanziert werde ich hauptsächlich durch meine Eltern. Beide können weiterhin arbeiten gehen. 

Mein Nebenjob liegt zum Glück nicht auf Eis. In den letzten Wochen sagte ich immer wieder zu meinen Freunden – sowohl mit Stolz, als auch mit einer leichten Abneigung gegenüber diesem vielbenutzten Begriff – ich mache Home Office! Ich erarbeite für die Hochschule Merseburg, bei der ich als studentische Hilfskraft tätig bin, unter anderem den Pressespiegel, helfe redaktionell und unterstütze meinen Chef bei der Büroorganisation. Anfangs konnte ich mir die Arbeit von zu Hause aus nicht vorstellen. Jetzt finde ich es sehr angenehm, meine Arbeitszeit frei zu planen, bei schönem Wetter auch mal draußen zu arbeiten oder mir meinen Kaffee in der eigenen Küche zuzubereiten. Dennoch kann ich es kaum erwarten, wieder an meinen gewohnten Arbeitsplatz zu fahren und an einem ausreichend großen Rechner mit zwei Bildschirmen – was für ein Luxus! – im Büro zu arbeiten. 
Auch meine zweite Einkommensquelle ist gesichert. Ich modele. Bei einem Shooting ist es einfach, anderthalb bis zwei Meter Abstand zwischen Fotograf und Model zu halten und ein Mundschutz kann auch mal ein interessantes Fotomotiv sein.

Da ich am Ende meines Studiums stehe, ist dieses nun als „Kreativsemester“ eingeschobene halbe Jahr für mich weniger von Bedeutung. Ich schreibe eh am liebsten daheim an meinem Bachelor und Literatur habe ich mir zum Glück schon vor der Krise gesichert. Jetzt fehlt mir nur der persönliche Kontakt zu meinem Dozenten. Noch hatte ich keine „Online-Konsultation“. Wir schreiben bisher hauptsächlich per Mail. So habe ich letztlich auch mit dem Prüfungsamt kommuniziert, um meine Bachelorarbeit anzumelden. Die Sache ist nicht ganz einfach, aber zum Glück gibt es kompetente und hilfsbereite Mitarbeitende an der Hochschule, die nahezu für jedes Problem eine Lösung parat haben und mir weiterhelfen konnten.

Mir ist auch aufgefallen, dass sich mein Einkaufsverhalten geändert hat. Normalerweise tätige ich mehrere kleine Einkäufe in der Woche. Aber da ein Mundschutz beim Einkauf nun geboten ist und man schon seit März einen Einkaufswagen in jedem Supermarkt aufgedrückt bekommt, gehe ich nicht mehr jeden zweiten Tag schnell in den Supermarkt, sondern plane meine Einkäufe. Listen habe ich mir schon immer gemacht, nur schaue ich jetzt vorher meine Küche genau durch: Was fehlt? Was ist bald leer? Was brauche ich diese Woche noch? Falls ich doch mal spontan ein paar Getränke oder einen Snack für einen Filmabend brauche, weiche ich auf den Späti bei mir um die Ecke aus. Viel teurer ist das nicht und bequemer auf jeden Fall. Online-Einkäufe versuche ich dagegen zu vermeiden. Auch wenn es vielleicht gerade schwierig ist, an manche Sachen heranzukommen, möchte ich aus ökologischen Gründen und auch um die Paketzusteller*innen zu entlasten, nichts bestellen.

Am meisten vermisse ich die Partys, Festivals und Konzerte, die ich sonst so besuche. Bis zum Schluss bangte ich mit meinem Freund, ob ein 200-Mann-Festival Mitte Mai, das wir schon seit letztem Jahr ins Auge gefasst hatten, stattfinden kann. Leider musste auch dieses ausfallen. Ich tanze unwahrscheinlich gern und diese Bewegung und der Ausgleich zum stressigen Alltag durch das „Abschütteln“ meiner Sorgen, fehlen mir ungemein. Sonst bin ich eher ein Bewegungsmuffel, aber zu lauter Musik mit einem Haufen Menschen, die ebenso musikverrückt sind wie ich abzusteppen, macht Laune. Bis zum 31. August sind alle Großveranstaltungen abgesagt. Keine Festivals, keine Open Airs, keine Demonstrationen, keine Kundgebungen, keine Raves und keine Partys. Ich klammere mich umso mehr an das, was mir geboten wird: Mein wöchentliches Highlight ist die Live-DJ-Sendung auf Radio Corax am Freitagabend ab 22 Uhr. Hier läuft meine Lieblingsmusik Drum’n’Bass und ich drehe die Anlage voll auf. Dann sitze (oder tanze) ich im Wohnzimmer und wenn ich die Augen schließe, stelle ich mir vor, ich bin im Hühner Manhattan in Halle oder in einem Leipziger Club.

Natürlich reicht es mir nicht, in meiner Bude ein bisschen zur Musik herumzuhampeln. Ich bin zwar gerne zu Hause, aber ich wohne allein. So erwischte ich mich vor kurzem, wie ich einem Freund eine Sprachnachricht mit den Worten schickte: „Ich hab Bock auf Sport.“ Glaubt es mir oder nicht, diesen Satz hätte ich noch vor ein paar Monaten niemals in den Mund genommen. Nun verabrede ich mich also zum Federball spielen, zum Morgensport auf meiner Dachterrasse oder sogar zum Yoga – das ich für mich entdeckt habe. Auch meine Mutter ist begeistert, dass wir jetzt ein Hobby teilen. Sie schickte mir spontan sogar eine Yogamatte.

Meine Freunde sehe ich trotz dieser schwierigen Zeiten häufig. Leider nur solche die in Halle wohnen und eben nur ein paar wenige auf einmal. Es deprimiert mich, dass ich mich nicht frei bewegen und keine Spieleabende veranstalten kann – zumindest darf ich nun wieder grundlos nach draußen. Dennoch habe ich Angst vor Maßnahmen, die mir meine Grundrechte rauben und vor Politiker*innen, die die momentanen Beschränkungen am liebsten als Standard hätten. Umso erstaunter war ich, als ich eine meiner Freundinnen, die mir gleichgesinnt ist, zu einem gemeinsamen Spaziergang traf und sie mir erzählte, wie glücklich sie mit ihrer momentanen Situation ist. Sie brachte es für mich auf den Punkt: Es erwartet keiner etwas von ihr. Damit machte sie mir Mut. Es ist eine Zwangspause, ja, aber nutzen kann Mensch die Zeit dennoch. Und zwar für sich selbst. 

Leider aber haben wir durch die Angst vor Corona ein wichtiges Thema völlig aus den Augen verloren. Eine Krise, die es ebenso zu bewältigen gilt und die uns mindestens genauso stark bedroht wie die weltweite Pandemie: den anstehenden Klimawandel. Auch die Kurve der Erderwärmung muss meiner Meinung abgeflacht werden. Da Fridays for Future und ähnliche Demonstrationen durch die Kontaktsperren aber nicht stattfinden durften, fühlte ich mich lange ohnmächtig. Doch Mitte April konnte ich endlich wieder mit selbstgebasteltem Schild auf die Straße. Ein solidarisches Einkaufen stand auf dem Plan, im Unverpackt-Laden Halle. Demonstrationen und Kundgebungen sind für mich ein Ventil, meine Meinung offen, ehrlich und vor allem lautstark kundzutun. Da standen wir also, brav aufgereiht im 2-Meter-Abstand mit Mundschutz und hielten unsere Schilder in die Kameras der Journalisten. An einem Freitag im April skandierten wir gemeinsam mit den lokalen Gruppen von Extinction Rebellion und Fridays for Future Sprüche vor dem Hansering. Die Solidarität ist immer noch da. Diese Gewissheit und die Hoffnung, dass wir aus der Krise nur lernen können, lassen mich aufatmen.
 

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