Durch einen Verwaltungsakt von preußischen Regierungsbeamten wurde 1925 das prachtvolle Merseburger Spiegelkabinett nach Berlin geschafft. In der Ausstellung des Deutschen Museums überstand das Meiste die Kriegszeiten, nach seiner Einlagerung 1946 erlitt es allerdings starke Feuchtigkeitsschäden. Seit 1972 befindet sich das Spiegelkabinett im Besitz des Kunstgewerbemuseums – Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz. Ab 1998 fanden umfangreiche Voruntersuchungen, von 1999/2000 an grundlegende Restaurierungsarbeiten und 2005 eine erste Aufstellung im Kunstgewerbemuseum statt. Seit 2012 wird die kostbare Wandvertäfelung im Bode-Museum präsentiert. Der mit Intarsien verzierte Parkettboden wurde im Krieg zerstört und ist nur noch auf historischen Fotografien sichtbar. Durch das an der Hochschule Merseburg angesiedelte Netzwerkprojekt „Visualisierung immersiver Medien und virtueller Räume (IMVIR)“ soll nun das Spiegelkabinett in den Räumen des Kulturhistorischen Schlosses Merseburg virtuell wieder entstehen. Der ursprüngliche Standort im Schloss wurde baulich saniert und soll nun bald wieder von Besucher*innen genutzt werden können.
Zum Ortstermin am 21.05.2019 im Bode-Museum in Berlin trafen sich die zuständigen Mitarbeiter*innen der Museen und der Hochschule Merseburg zur fotografischen Aufnahme der barocken Einrichtung. Dabei vertraten Christian Fischer in Eigentümerfunktion das Kunstgewerbemuseum und Dr. Karin Heise das Kulturhistorische Museum Schloss Merseburg. Vom IMVIR-Projekt waren der Projektleiter Prof. Marco Zeugner und die Mitarbeiterin Mechthild Meinike anwesend, unterstützt vom Studenten Oliver Martin.
Der Zustand des um 1715 für Herzogin Henriette Charlotte zu Sachsen-Merseburg errichteten Spiegelkabinetts ist in seiner Grundstruktur erhalten geblieben. Konservatorische Maßnahmen haben Schlimmeres verhindert, und so zeigt sich das Spiegelkabinett mit einer unglaublichen plastischen Vielgestaltigkeit an vergoldeten Ornamenten, Figuren und Nischen. Bedingt durch die wechselvolle Geschichte fehlt ein Teil der dekorativen Elemente oder ist bei näherer Betrachtung beschädigt. Die Farbe und Struktur der hinterlegten bemalten Leinwände zeigten sich zum früheren Kobaltblau stark verändert. Ursprünglich standen auf den Regalen, Borden und in den Vitrinen weit über zweihundert kostbare Kunstgegenstände aus edlen Metallen, Elfenbein und Juwelen. Auch zierten viele Figuren und Gefäße aus chinesischem Porzellan die herzogliche Schatzkammer. Nach gegenwärtigem Forschungsstand sind zehn Objekte erhalten, die im Grünen Gewölbe der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden zu finden sind und aus dem Merseburger Schloss stammen – mehrere davon nachweislich aus dem früheren Spiegelkabinett. Dabei handelt es sich um kostbare Werke der Schatzkunst. Zur Vorbereitung der virtuellen Rekonstruktion wurde das Spiegelkabinett mit allen Details fotografisch erfasst. Die vielen gegenüberliegenden Spiegel und verspiegelten Facettendeckenteile machten das Fotografieren zu einer echten Herausforderung. Die Fotos bilden die Grundlage für die Übertragung der räumlichen Situation und die Modellierung der Grundstrukturelemente der Dekorationen am Computer. Auch die aus dem Bestand des Spiegelkabinetts noch erhaltenen Kunstwerke sollen digital wiedererstehen. Ziel der virtuellen Rekonstruktion ist es, für die museumspädagogische Nutzung eine virtuelle Szene zu schaffen, die dem Stellenwert und der Bedeutung des Ortes gerecht wird und dem Besucher ein zeitgemäßes Lerneffekt-Erlebnis verschafft.
Das Projekt IMVIR wird aus Mitteln der digitalen Dividende II des Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des Landes Sachsen-Anhalt gefördert.