Tür auf, Licht an, Ton ab!
Kirche im Dorf - Visionen der Umnutzung von leerstehenden Kirchen
Ein Projekt von Studierenden des Studiengangs „Kultur- und Medienpädagogik“ der Hochschule Merseburg.
“Die Kirche im Dorf lassen“ so sind Kirchen sprichwörtlich in unsere Gedanken- und Sprachwelt eingebunden. Nach den beiden Vorgängerprojekten "Kirche im Dorf - Romanische Kirchen im Saalekreis" (2009-10) und "Kirche im Dorf - Historische Kirchen im Saalekreis" (2011-12) ist das Projekt „Tür auf, Licht an, Ton ab !“ (2016-17) die Weiterführung unseres Themas "Kirche im Dorf". Diesmal widmen wir uns Visionen der Umnutzung von leerstehenden Kirchen.
In seinem Vorwort für das Katalogbuch "Kirche im Dorf - Romanische Kirchen im Saalekreis" schrieb der Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer: „Kirchen sind Identifikationsorte - in ihrer Schönheit und Einmaligkeit, wiewohl sie alle einen bestimmten Stil haben. Sie sind Teil der Identifikation stiftenden Erinnerung – erhalten und wiederhergestellt nach Feuersbrünsten oder kriegerischen Zerstörungen. Man denke an den emotionalen Wert der Dresdener Frauenkirche und der Kreuzkirche, an den Dom zu Münster oder die Marienkirche in Kiel – aufwendig wiederaufgebaut, Wahr-Zeichen (!) der Städte.
Nicht minder gilt das für Dorfkirchen. Um die Kirche herum gliedern sich traditionell die Wohnhäuser, oft ganz nahe bei der Schule, nicht weit weg von der Kneipe. Wo eine Kirche verwahrlost ist oder gar verfällt, wirkt das aufs ganze Dorf zurück. Und deshalb ist es aller Mühe wert, sie zu erhalten und darin möglichst auch etwas zu gestalten, was ihrem Geist entspricht. Kultus und Kultur hängen zusammen, ja sind aufeinander verwiesen. Und Glocken dürfen nicht fehlen, am besten ist’s, wenn auch die Orgel spielbar bleibt.“ Weiter stellt er die Frage: „Wie aber werden die Kirchen wieder Lebensorte für mehr Menschen, die sich darin beheimaten, diese Räume als besondere Orte des Feierns und des Klagens, der Orientierung und der Ermutigung, der Meditation und der Gemeinschaft, der Stille und der Musik erfahren?“
In den beiden Vorgängerprojekten konnten wir das Engagement von Gemeinden, Vereinen und Einzelpersonen vorstellen, die Kirchen erhalten und sogar Anregung zur Beschäftigung mit der eigenen, dem Verfall überlassenen Dorfkirche geben.In den letzten Jahren wurden etliche Kirche in der Region Halle-Merseburg-Leipzig „stillgelegt“, entweiht, geschlossen. Nicht immer sind es baugeschichtlich wertvolle Gebäude. Teilweise sind es einfache Gebäude, schnell und preiswert in der Mitte des 20. Jahrhunderts erbaut, um z.B. den durch Kriegsflüchtlinge gewachsenen oder entstandenen katholischen Gemeinden ein Zuhause zu geben. Um so wertvoller sind diese, nun funktionslos gewordenen Bauten, für die Menschen der Gemeinden, die ihre geistliche Heimat mit dem Ort verbinden. Da stellt sich die Frage, ob man diese Identifikation in andere Orte „verpflanzen“ kann? Die Erinnerungen bleiben.
Das Leben begann mit der Taufe offiziell in der Kirche, man nahm am Gemeindeleben teil, heiratete in der Kirche und wurde schließlich, zum guten Schluss, auf dem Friedhof, der meistens die Kirchen umgibt, beerdigt. So war es viele Jahrhunderte. In einigen größeren Gemeinden funktioniert das so immer noch. Unsere Besuche zeigten aber auch andere Bilder. Einige Kirchen sind verfallen, der Friedhof ist verlassen und ungepflegt, oder die Nutzung der Kirche ist stark eingeschränkt. Vierzig Jahre real existierender Sozialismus in der Chemieregion und die Kollektivierung der Landwirtschaft haben die Dörfer verändert. Der so genannte „demographische Wandel“ in den ländlichen Gebieten in Mitteldeutschland, der sich im Fehlen jüngerer Menschen äußert, hat in den letzten 20 Jahren die Kirchgemeinden weiter schrumpfen lassen, so dass Gemeinden zusammengelegt und Pfarrstellen eingespart werden mussten.
Übrig bleiben oft, nach dem Verkauf der Pfarrhäuser und –gärten, die Kirchengebäude. Diese leerstehenden und entweihten Kirchen stehen im Fokus unseres Projektes, das Erleben von Leere, Ruhe und Inhaltslosigkeit, von Verfall, Aufgabe, oder das Warten auf eine Idee! Als Außenstehende sind wir frei von Erinnerungen und damit frei von Hemmungen auch über ungewöhnliche, neue Ideen nachzudenken. Neben Besuchen, Gesprächen, Ortsbegehungen und Interviews, entstanden Notizen, Fotografien und Skizzen, die in die Arbeiten eingingen.
So konnten die Studierenden alternative Nutzungskonzepte entwickelten. Mache Konzepte machbar, andere visionär, konnten sie dem Publikum bzw. der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Zum „Kirchentag am Wege“ Ende Mai 2017 überzeugten sich die Besucher im Innenhof des Kunstmuseums Moritzburg in Halle: in einer multimedialen Installation mit raumfüllenden Soundscapes und mehrdimensionalen visuellen Projektionen konnten die Ideen sinnlich erfahrbar werden. Die ehemalige katholische St. Annenkirche in Schkopau wird zum Beispiel zu einer Art Tropenhaus. Auch wenn diese Umnutzung eher unwahrscheinlich ist, regt auch diese Idee die Besucher und Leser an, die Kirchengebäude nicht leer stehen zu lassen. Ein ehemals üppiger Garten hinter der Kirche in Schkopau wartet schon jetzt auf Pflege und auf Bewirtschaftung! Vielleicht entsteht aus der Beschäftigung mit den Kirchenbauwerken wieder eine Initiative, eine Gruppe oder ein Verein, die sich einer Neunutzung widmen. Das könnte ein Jugendtreff oder eine Theaterbühne sein. Einige Beispiele der Umnutzung in der Region, wie die Nutzung der 1935 erbauten katholischen Kirche „Heilige Drei Könige“ , die 2009 profaniert wurde, und heute vom Zentrum für Zirkus und bewegtes Lernen Halle e.V. als Herberge und Übungsraum genutzt wird, machen Mut.
Dieser Bild-Text-Band dokumentiert die möglichen Nutzungskonzepte, die Ideenfindung und die künstlerischen Arbeiten daran. Auf einer DVD sind die multimedialen Präsentationen anzuhören und anzusehen: Tür auf- Licht an Ton ab!