Der Motor 2 cl alpha
Durchstöbert man die Literatur zu Verbrennungsmotoren stößt man mitunter auf „Exoten“. Diese ungewöhnlichen Konstruktionen haben nicht nur ihre Besonderheiten, sondern oft auch in Details oder gar im andersartigen Funktionsprinzip handfeste Vorteile, die für ihren Einsatz sprächen. Leider standen den Vorteilen oft auch nicht so offensichtliche Nachteile gegenüber, die ihrer Verbreitung schließlich entgegenwirkten.
Man stößt auch auf Gegenkolbenmotoren. Beschäftigt man sich näher mit ihnen, ist zu erfahren, dass bei Junkers in der 30/40er Jahren des letzten Jahrhunderts mehrere Tausend Stück gebaut wurden, mit selbst aus heutiger Sicht beachtlichen Kennwerten und das mit den damals vorhandenen einfachen Werk- und Schmierstoffen. Was ist also dran am Gegenkolbenmotor? Eine Frage die aktuell schien, denn das Gegenkolbenprinzip erfuhr um die Jahrtausendwende eine gewisse Renaissance in diversen Entwicklungsabteilungen oder Experimentierstätten.
Was lag also näher, als sich dem Thema intensiver zu widmen und gemeinsam mit Studenten Erfahrungen auf diesem Gebiet des Motorenbaus zu sammeln. Einen neuen Motor zu bauen ist nicht einfach, insbesondere, wenn man sich wie in diesem Fall nicht auf Erfahrungen anderer stützen konnte.
Auf diesen Seiten erhalten Sie einen Einblick in die Entwicklung eines außergewöhnlichen Antriebes.
Einige Beteiligte
Unser Gegenkolbenmotor wurde speziell für den Einsatz im Experimentalfahrzeug Zero7 entwickelt. Den Ausgangspunkt der Motorkonstruktion stellte ein Entwurf von Prof. Dr. Krause dar, welchen Andreas Becker im Rahmen seiner Studienarbeit zur kompletten Motorkonstruktion ausführte. Er zeichnete nicht nur für die konstruktive Ausbildung aller Einzelteile verantwortlich, sondern war auch allgegenwärtig in der Entstehungsgeschichte seiner kleinen Maschine.
Als äußerst fruchtbar erwies sich die Zusammenarbeit mit Dipl.-Ing. Wolfram Scharnowski, der in unzähligen Stunden fast die gesamte Fertigung und Montage praktisch zum Nulltarif übernahm und oft eine praktikable Lösung für das ein oder andere Problem parat hatte.
Den anschließenden, nicht leichten Weg zur einsatzfähigen Maschine begleitete Rene´ Stöhr, Laboringenieur u.a. für Kolbenmaschinen, der zuvor schon Jahrzehnte seiner Freizeit kleinen Motoren widmete und hier neben seiner „Feinmotorik“ auch in manch verzweifelter Situation immer mal „noch so ne Idee“ einbrachte.
Motorkonzept
Der Motor entspricht dem Konzept des Einwellen-Gegenkolbenmotors von Prof. Dr. Junkers. Er besitzt 2 gegenläufige Kolben im selben Zylinder und arbeitet nach dem 2-Takt-Verfahren mit Gleichstromspülung. Auf Grund der geringen benötigten Leistung für das inklusive Fahrer ca. 100 kg leichte Fahrzeug und des damit einhergehenden geringen Hubraumes von nur 39 cm³ wurde anstatt des von Junkers bevorzugte Diesel- auf das in dieser Hubraumgröße leichter beherrschbare Ottobrennverfahren gesetzt.
Von Beginn besaß der Motor eine Gemischspülung, aufbereitet durch einen gebräuchlichen Membranvergaser. Um Kraftstoffverluste durch Überspülung zu vermeiden war auch eine Direkteinspritzung vorgesehen. Entgegen den im Shell Eco-Marathon weit verbreiteten Boschventilen mit druckbeaufschlagten Benzintanks sollten hier eigene Wege gesucht werden, bei denen die zur Einspritzung nötige Energie „ehrlich“, also aus dem verbrauchten Kraftstoff, bezogen wird. Versuche mit einer selbst entwickelten mechanischen Einspritzung verliefen optimistisch, hatten aber bis 2011 noch nicht einen einsatzreifen Stand erreicht.
Schmierung
Dem Kraftstoff (Benzin) wurde nur ein geringer Ölanteil von 1:100 zugegeben. Der Kurbeltrieb benötigt auf Grund des anhaftenden Schmierstoffes in den Lagern im Betrieb keine Ölzufuhr. Die Motorlaufzeit im knapp einstündigen Eco-Marathon summiert sich je Wertungslauf auf nur etwa 15 min.
Die Laufgarnitur ist ringlos ausgelegt. Wie bei Kleinstmotoren nicht unüblich erfolgt die Dichtwirkung zwischen Laufbuchse und Kolben allein durch deren Passung. Hier übernimmt der geringe Ölanteil eine Feindichtung. Ein Betrieb gänzlich ohne Ölanteil im Kraftstoff scheint aufgrund des besonderen Kolbenmaterials möglich und wurde zumindest für einige Minuten nachgewiesen. Soweit der Stand bis 2010. Im Folgejahr zeigte sich, dass der geringe Ölanteil auch für die Laufgarnitur aus gehärteter Stahlbuchse und Karbonkolben mit Kolbenringen ausreichte. Diese zeigte nach 100 km Fahrstrecke keinen nennenswerten Verschleiß.
Die Kolben-Buchse-Odyssee
Junkers Flugdieselmotoren mit Gegenkolben wurden in den 30er und 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Großserien gebaut (Jumo 205, Jumo 207). Prinzip bedingt unterlagen besonders die Auslasskolben starken thermischen Belastungen. Deshalb wurden die Aluminiumkolben mit aufmontierten Stahlplatten und gusseisernen Feuerringen vor einem Anschmelzen geschützt.
In neuester Zeit stehen Werkstoffe zur Verfügung, die um einige hundert °C mehr vertragen als herkömmliche Kolbenwerkstoffe aus Aluminium oder auch Stahl.
Ein solches Material (Karbon) fand an beiden Kolben des „2cl alpha“ sowie an dessen Ladekolben Verwendung.
Für das Material sprachen folgende Vorteile:
- Höchste Temperaturbeständigkeit
- Geringe Wärmeleitfähigkeit und damit besserer Wirkungsgrad des Motors
- Sehr gute Eigenschmierung
- Geringe Wärmedehnungszahl, dadurch geringe Ausdehnung des Kolbens bei Erwärmung
- Gute spanende Bearbeitbarkeit
Die Nachteile sind:
- Geringe Bruchdehnung
- Sehr geringe Auswahl an Werkstoffen für die Laufbuchse mit passender Wärmedehnungszahl (bei ringlosen Kolben)
Der letzte Punkt sollte sich als ernstes Problem für den praxistauglichen Einsatz des „2 cl alpha“ erweisen. Bei steigender Betriebstemperatur dehnte sich die Laufbuchse aus gehärtetem Stahl stärker aus als die Karbonkolben. Durch die Spielzunahme erhöhten sich die blow by Gase, die Kompression nahm ab, was wiederum die häufig nötigen Starts im Eco-Marathon erschwerte. Zwischenzeitliche Versuche mit einer Laufbuchse aus (einem anderen) Karbon beseitigten dieses Problem, die Standzeit war aber unzureichend.
Die Lösung für die Wettbewerbsläufe 2008 und 2009 bestand beim Beibehalten dar Karbon-Stahl-Garnitur mit konstant halten der Betriebstemperatur (s.u. Kühlung).
Für 2010 wurde eine Laufbuchse aus einem Invarstahl ausgewählt und natürlich wieder einmal neue Kolben eingepasst (wer früher mit Kohle geheizt hat, kann erahnen wie eine Werkstatt nach der Kolbenfertigung aussieht). Die Wärmedehnungszahlen beider Werkstoffe korrelierten recht gut miteinander. Der Motor wurde kaltstartfähig und erreichte die optimale Passung bei 100°C. Im Ergebnis wurde mit dem 2cl-alpha die erste offizielle Wertung auf dem Lausitzring gefahren (s.o. Die Entstehungsgeschichte).
Bei genauerer Betrachtung zeigte sich jedoch ein neues Problem. Da die Laufbuchse aus einem Stück bestand, liefen darin sowohl der heißere Auslasskolben als auch der kühlere Einlasskolben in derselben Materialpaarung. Diese war eigentlich nur für den Einlasskolben wirklich stimmig. Der Auslasskolben hätte einen Werkstoff mit noch etwas geringerer Wärmedehnung oder eine eigene Laufbuchsenseite benötigt.
Buchsen aus Nitrierstahl, innen präzise doppelt konisch geschliffen
Es mag bei einem Kolben pro Zylinder gelingen, die richtige Materialpaarung für ringlose Kolben zu finden, bei zwei unterschiedlich heißen Kolben im Gegenkolbenmotor, möglichst noch in unterschiedlichsten Betriebspunkten ist das praktisch unmöglich, es sei denn man hätte Materialien mit der Wärmedehnung null.
In dieser Misere war glücklicherweise der finanzielle Rahmen für das Projekt mal nicht ganz so eng. Das anfangs festgelegte Konzept der ringlosen Kolben wurde verlassen und das Problem sehr klassisch gelöst.
Wegen der guten Erfahrungen mit der Standfestigkeit der Karbonkolben in glatten, gehärteten Stahlbuchsen wurde auf neue Laufbuchsen aus Nitrierstahl mit Karbonkolben gesetzt, allerdings jetzt mit Kolbenringen.
Die neuen Buchsen fertigte die Firma Gehring in Naumburg in sehr guter Qualität. Von den drei 2011 angefertigten Laufbuchsen wurde letztlich nur eine benötigt. Der Motor war mit dem ersten Buchse-Kolben-Satz von Montage an leichtgängig, hatte gute Kompression und lief … die maximale Wertungsdistanz an allen 2011er Wettbewerbstagen, in Summe 100 km. Ein Reservesatz musste nicht montiert werden.
von links nach rechts: Einlasskolben ringlos, Einlasskolben mit Ring, Auslasskolben ringlos, Auslasskolben mit Ring
Man könnte diese Kolben-Buchse-Odyssee zusammenfassen: Warum nach neuen Wegen suchen, wenn es bereits bewährte Lösungen gibt?
Fortschrittlich gegenüber den Zeiten von Hugo Junkers bleibt jedoch das neuartige Kolbenmaterial. Seine ausgezeichnete Beständigkeit gegenüber der hohen thermischen Belastung am Auslasskolben und seine hervorragenden Notlaufeigenschaften empfehlen Karbon als Kolbenwerkstoff im Gegenkolbenmotor.
Kühlung
Die Abwärme des „2cl alpha“ ließ sich im für den Marathon typischen intermittierenden Kurzzeitbetrieb ausreichend über das Gehäuse an die Umgebung abstrahlen.
Die Notwendigkeit die ringlose Zylinder-Kolbenpassung im Betrieb konstant zu halten, erzwang jedoch eine temperaturgeregelte Kühlung. Um den Aufwand und die Masse im Fahrzeug gering zu halten, wurde auf einen kompletten Wasserkreislauf verzichtet. Zur Anwendung kam ein einfaches, altes, sowie wirkungsvolles Prinzip, die Verdunstungskühlung. Die zur Verdampfung von Wasser notwendige Energie kühlt den Motorblock und hält zugleich dessen Temperatur in einem engen Bereich zwischen 100 und 110°C. Für knapp eine Stunde Fahrzeit im Wertungslauf wurde 1 Liter Wasser mitgeführt, wovon maximal 100 ml verbraucht wurden. Ebenfalls ausreichend zeigten sich die zwei kleinen Verdampferkanäle diagonal neben der Zylinderbohrung im Zylinderzentralblock.
In den Karbon-Stahl-Laufsätzen bis 2009 waren bei abgekühltem Motor die Kolben in der Laufbuchse eingeklemmt. Der Motor musste zum Start vorgewärmt werden. Dafür waren Glühkerzen im Zylinderblock montiert. Mit Umrüstung auf die Invarbuchse 2010 sowie mit den Ringkolben 2011 konnte auf Vorwärmen verzichtet werden. Die Verdampfungskühlung behielt weiterhin ihre Temperaturbegrenzende Funktion.
Zwei Löcher neben der Zylinderbohrung reichen für das Kühlwasser. In den Langlöchern arbeiten die Zugpleuel.
Zusammenfassung
Der Motor „2cl alpha“ war in Baugröße, Konstruktion und Einsatzfall ein Erstlingswerk. Er konnte infolge dessen nicht mehr sein als ein Versuchsmotor. Über den Test auf dem Versuchsstand hinaus war sein erfolgter Einsatz in einem Fahrzeug, oder gar standfeste Läufe in einem Wettbewerb, zwar das überaus optimistische Ziel seiner Entwickler aber zugleich schon weitaus mehr, als man von einem Versuchsmotor überhaupt erwarten durfte.
Verglichen mit dem Erreichten war der finanzielle Aufwand für seine Entstehung gerade zu lächerlich.
Das sollte hier nicht unerwähnt bleiben, da die offizielle Unterstützung für dieses Projekt sehr spärlich war. Umso höher bleibt der persönliche Einsatz der beteiligten Personen zu werten.
Das wertvollste Ergebnis jedoch waren die Erkenntnisse, die diese kleine Maschine seinen Entwicklern gebracht hatte. Die ihr zu Grunde liegende Konstruktion erlaubte am vorhandenen Objekt nicht mehr die Veränderungen, die zu weiteren signifikanten Verbesserungen geführt hätten. Die wichtigsten Aufgaben wären gewesen:
- Test weiterer Werkstoffpaarungen Kolben-Zylinder
- Massereduzierung und Steigerung der Literleistung durch Übergang zur Zweiwellenbauart
- Umsetzen einer Direkteinspritzung mit zugehöriger Motorelektronik
- Optimierung von Ladung und Spülung
Die vorhandene Konstruktion hatte jedoch ihre Grenzen erreicht. Aus ihr leitete sich folgerichtig der Wunsch nach einer verbesserten Neukonstruktion ab. Hier sei vergleichend auf die langwierige Entwicklung der erfolgreichen Junkers-Gegenkolbenmotoren verwiesen.
In [R. Müller: Junkers Flugtriebwerke, Aviatic Verlag 2006 ] sind Technik und Historie der Gegenkolbenmotoren, wie auch der gesamten Triebwerksentwicklung bei Junkers beschrieben. Diese Quelle besticht mit ihrer einmalig kompletten sowie fundierten Recherche und kann hiermit uneingeschränkt weiterempfohlen werden.