Über Digitalisierung und Digitale Kultur
Die Digitalisierung wälzt über das Land und hinterlässt ihre Spuren. In jeglichen Bereichen des sozialen Lebens verbleiben tiefgreifende Veränderungen als Folge. Dabei erleben wir jedoch nicht nur eine Transformation analoger Formen ins Digitale sowie die zunehmende Verbreitung neuer digitaler Technologien und Medien, sondern einen Wandel aller drei Pole unserer Kultur - des Menschen, der Technik und der Gesellschaft. Während die Entwicklung digitaler Technologien und Medien die Art der Wahrnehmung, das Denken und die Kommunikation grundlegend verändern, bilden und etablieren sich fortwährend neue Praktiken im Umgang der Menschen untereinander und mit den Artefakten ihrer Lebenswelt. Die Auswirkungen dieser Veränderungen spüren wir in vielen Bereichen unseres Lebens; in Arbeit, Bildung und Politik ebenso wie in unseren Vorstellungen von Zeit, Glück und Freundschaft. Alte Routinen sind hinfällig geworden, die Alternative ist vielförmig. Dabei erscheint die 'neue' Welt dem einen als immer schneller, komplexer und widersprüchlicher, dem anderen offenbart sie sich als so einfach, offen und gestaltbar wie nie zuvor.
Digitale Kultur zwischen Mensch, Technik und Gesellschaft
Im Spannungsfeld der Trias von Mensch, Technik und Gesellschaft konstituiert sich unsere Digitale Kultur. Als Produkt ihrer Zeit, die durch eine Omnipräsenz der Digitalität bestimmt ist, umfasst Digitale Kultur daher all das, was sich seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert als neue Techniken, Praktiken und Vorstellungen etabliert. Sie ist Ausdruck dieser transformativen Prozesse – eine Gemengelage aller drei sich wandelnder Pole –, beständig selbst in Veränderung begriffen. Um diesen permanenten und vermeintlich beschleunigten Veränderungsprozessen Stand zu halten, muss sich der Mensch vor allem im Zeitalter der Digitalität als ein formbares Wesen erweisen, das in der Lage ist, sich dem Wandel unentwegt anzupassen und sich indessen beständig neu zu sich Selbst und seiner Welt ins Verhältnis zu stellen. Denn sowie der Mensch die Technik und Gesellschaft zu verändern mag, wirken auch Technik und Gesellschaft auf den Menschen ein. Ohne die Annahme der Anpassungsfähigkeit und somit auch Gestaltbarkeit des Menschen mündete das Wissen um die Unbestimmbarkeit seiner Zukunft sowie das Bewusstsein um die Kontingenz seiner Lebenswelt – in der alles, was ist, zugleich immer auch anders möglich wäre – in einem Zustand individueller und gesellschaftlicher Überforderung. Die Digitale Kultur hingegen hat sich dieser Kontingenz bemächtigt und sie zur Spielwiese ihrer Akteure gemacht; in ihr erscheint alles für Jeden zu jeder Zeit möglich. Doch dass solche Akte der Selbstermächtigung nicht als selbstverständlich zu erachten sind, zeigen viele der gegenwärtigen, gesellschaftlichen Diskurse: allzu oft dominiert der Eindruck, die Digitalisierung eile dem Menschen voraus. So verbleiben zur gleichen Zeit Jene, denen Digitalisierung geschieht. Sich dieser Passivität loszusagen und Mensch, Technik und Gesellschaft als formbar anzunehmen, ist, was Digitale Kultur bedarf, um sich selbst gestaltbar zu erhalten. Hierzu braucht es Räume, die dazu einladen, Digitale Kultur zum einen zu beobachten und zu erfahren, zum anderen an ihrer Gestaltung zu partizipieren.
Das Komplexlabor Digitale Kultur - Zwischen Wissenschaft, Kunst und Vermittlung
Als einer dieser Denk- und Erfahrungsräume, der sich neben der Erforschung und Analyse auch der Gestaltung Digitaler Kultur angenommen hat, begreift sich das Komplexlabor Digitale Kultur. Zwischen Wissenschaft, Kunst und Vermittlung verfolgt das seit 2018 im Aufbau befindliche Komplexlabor das Ziel hinsichtlich Digitaler Kultur zu sensibilisieren und aufzuklären. Als interdisziplinäres Projekt verbindet das Komplexlabor Digitale Kultur die methodische Erforschung und theoretische Analyse gesellschaftlicher Konsequenzen Digitaler Kultur mit der Vermittlung digitaler Technologien durch experimentelle Aneignung und spielerischem Austesten und den ästhetischen Erfahrungen der Komplexität und Kontingenz der Digitalität. Seiner Mission – dem Transfer von Wissen und Erfahrung Digitaler Kultur in die Gesellschaft – folgend, ist das Komplexlabor daher stets auf der Suche nach innovativen und nachhaltigen Bildungsformaten.
Über das Studienprojekt "Quo Vadis? Komplexlabor Digitale Kultur"
"Quo Vadis? Komplexlabor Digitale Kultur" schließt im Rahmen eines Projektseminars des Master-Studiengangs Angewandte Medien- und Kulturwissenschaft der Hochschule Merseburg an diese Herausforderungen an. Zwischen Theorie, Praxis und Methode unternahmen StudentInnen des Seminars den Versuch, verschiedene Entwicklungsszenarien des Komplexlabors zu entwerfen. Mittels Lektüre, Design Thinking und Werkstatterfahrungen entwickelte das Team innerhalb eines Semesters den Prototyp eines neuen Bildungsformates im Sinne des Komplexlabors Digitale Kultur. Ob und wie sich das Neue Denken dabei bewährt hat, lesen Sie in den nächsten der sechs Phasen der Design Thinking Methode.
Joana Mauer